Wenn der Frühling zu Winter wird

Die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich durch die milchige Fensterfront des Lofts, blendeten sein Gesicht. Murrend hielt er die Hand vor die Augen, tastete nach den zerwühlten Lacken hinter sich. Sie waren noch warm an der Stelle wo sie gelegen hatte. Noch hing ihr Duft in der Luft. Er rollte sich auf den Rücken und atmete ihn tief ein, nahm ihn mit jeder Pore seines Körpers auf. Er schloss die Augen und dachte daran, wie weich ihr Haar sich in seiner Hand anfühlte, dachte an ihr Lachen, das den Raum mit Musik füllte.
„Warte noch ein Weilchen.“, sagte sie.
„Josephine, oh geliebte Josephine, lass mich dir sagen, dass ich dich lie…“
„Schschsch.“, hauchte sie. „Zerstöre nicht das was wir haben, durch drei Worte, die du später einmal bereuen könntest.“
„Aber Josephine, …“
Sie legte den Zeigefinger auf seine Lippen um ihn zum Schweigen zu bringen. „Wir haben unendlich viel Zeit. Gedulde dich Liebster, denn noch ist sie nicht reif, noch müssen wir uns nicht binden, noch sind wir frei wie die Vögel, die gen Süden ziehen.
So schwieg er. Ließ sie gehen, jedes Mal. Doch tief in seinem Inneren wollte er ihr sagen, wie sehr er sie liebte und brauchte.
„Warte noch …“
„Noch ist sie nicht reif, die Zeit.“
„Noch müssen wir keinem Rechenschaft schulden, keinen an uns Binden.“
„Wir sind jung, das Leben hat uns noch so viel zu bieten.“
Und er wartete.

Er sah aus dem Fenster und beobachtete das Treiben auf der Straße. Wer mögen sie alle sein, diese Menschen, die da wandeln auf Erden. Sie ließen sich treiben, vom Frühlingswind, vom Sturm der Blätter? Warteten auch sie auf etwas? Oder waren sie zufrieden mit ihrem Leben? Ließen sie sich fort treiben oder blieben sie stets stehen? Was bot ihnen ihr Leben?
Was bot ihm seines?
Rosa Blüten schmückten das Pflaster, wurden vom Wind emporgehoben und er wünschte sie würden fort tragen sein Leid und seine Verzweiflung.
Er wartete. Wartete Jahr um Jahr. „Oh Josephine!“

Schon lange lag er wach im Bett. Der Himmel draußen war trist und kühl. Die Luft war trocken, Schnee lag in der Luft. Kleine kristallene Sterne schmückten die Fenster und lachten zu ihm hinein. Er wendete sich ihnen zu und flüsterte ihren Namen: „Josephine …“
In der Post war ein Brief gewesen. Ein Brief, geschmückt mit Liebe, mit dem Duft ihrer Haut, ihres Haares und förmlich schmeckte er ihre Lippen auf den seinen, als er ihre Zeilen las.
„Komm zu mir mein Liebster, ich bin bereit für die Liebe, bereit für das Leben.“
Doch waren es nur die Worte die er zu lesen erhoffte, denn der Brief stammte von ihrer Schwester. Sofort packte er seine Sachen zusammen, eilte hinaus zur Tür um sie zu sehen, sie, seine Josephine.

Da lag sie, auf dem kalten Podest. Ihre Haut so blass, so weiß wie Schnee, ihr Haar so schwarz wie Ebenholz und ihre Lippen so rot wie das Blut, das durch ihre Adern floss.Dort lag sie schlafend, schön und kalt. Der Schnee legte sich zu ihr, bettete seine Flocken auf ihrem Gesicht, wo die eisigen Sterne ihre Haut benetzten.
Er fiel auf die Knie, seine Lippen zitterten, stotterten ihren Namen. „Josephine, …“
Dort lag sie, die Lippen zu einem letzten Lächeln verformt, die Augen geschlossen, das Haar auf dem Kissen ausgebreitet. Dort lag sie, seine Josephine. Schön, blass, kalt.

Zu lange hatte er gewartet. Zu lange hatte er seine Gefühle für sich behalten. Zu lange hatte er geschwiegen. „Josephine, geliebte Josephine, …“ Sein schluchzen verhallte in der Ferne, die feuchten Tränen wurden zu Eis auf seinen Wangen. Behutsam nahm er ihr Gesicht in seine Hände, küsste ihre Stirn und schmiegte seine Wange an die ihre. Er legte sich zu ihr und hielt sie im Arm als wolle er sie wärmen, ihr seine Wärme schenken, wie er ihr einst seine Liebe schenken wollte. Sein Herz schlug im Rhythmus des herab fallenden Schnees und schon bald, als die Wolken ihren zarten Flaum für sich behielten, so schlug auch sein Herz ein letztes Mal, erfror und brach in tausend kleine Stücke.

6. Mai  2012
1Included Lines written by the Brothers Grimm
In loving Memory to Josey (+ 12. August 2011)

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