Mit „In die Sonne schauen“ legt die Regisseurin Mascha Schilinski ein eindrucksvolles Werk vor, das sich zwischen Licht und Schatten, Hoffnung und Verzweiflung bewegt. Der Film wirft einen schonungslosen Blick auf die inneren Konflikte seiner Figuren und stellt existenzielle Fragen nach Wahrheit, Identität und dem Mut, hinzusehen – selbst wenn es schmerzt. In dieser Kritik beleuchten wir, wie das Werk visuell, erzählerisch und emotional überzeugt und ob es ein würdiger deutscher Oscarkandidat ist.
☀️🌾👧
Ein Beitrag von: Maddin
Worum geht es in „In die Sonne schauen“?
Auf einem abgelegenen Vierseithof in der Altmark haben über hundert Jahre hinweg Generationen von Menschen gelebt. Die Mauern dieses Ortes tragen ihre Geschichten, ihre Sehnsüchte, ihre Zeit in sich. „In die Sonne schauen“ folgt vier Frauen aus verschiedenen Jahrzehnten – Alma in den 1910ern, Erika in den 1940ern, Angelika in den 1980ern und Nelly in den 2020ern –, deren Leben auf geheimnisvolle Weise miteinander verflochten sind. Jede verbringt ihre Kindheit oder Jugend auf diesem Hof, doch während sie scheinbar nur in ihrer eigenen Gegenwart existieren, drängen sich immer wieder Spuren der Vergangenheit in ihr Bewusstsein: verdrängte Ängste, alte Wunden, verborgene Geheimnisse.
So erfährt Alma, dass sie nach ihrer verstorbenen Schwester benannt wurde, und glaubt, unweigerlich deren Schicksal teilen zu müssen. Erika verfängt sich in einer düsteren Obsession für ihren kriegsversehrten Onkel. Angelika schwankt zwischen einer tiefen Todessehnsucht und einem trotzigen Lebenshunger, gefangen in einer zerrütteten Familie. Und Nelly, die vermeintlich geborgen aufwächst, wird von intensiven Träumen und der schweren Last vergangener Ereignisse eingeholt. Als sich schließlich ein tragisches Geschehen auf dem Hof wiederholt, beginnen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart endgültig zu zerfließen.
Ein unglaublicher Sog in die Vergangenheit

Auch interessant: Die Vorkosterinnen – Filmkritik
Gerade am Anfang ist noch unklar, worauf der Film hinaus will. Es ist da noch eher ein diffuses Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Bei Alma ist zum Beispiel das Bild ihrer fast identisch aussehenden Schwester allpräsent. Diese ist nach kurzer schwerer Krankheit verstorben und es gibt ein bisschen gruseliges Bild von ihrer trauernden Mutter mit der Tochter nach dem Tod.
Im Laufe des Films schält sich dann immer mehr hinaus, was der Film erzählen will. Jede der vier Generationen hat ihre Päckchen zu tragen. Sei es ein „Unfall“, um der Armee zu entgehen, Selbstmord um vermuteter Vergewaltigung zu entgehen, sexueller Missbrauch durch männliche Dorfbewohner oder sogar Verwandte. Probleme die leider auch heute noch aktuell sind.
Dabei hebt der Film nicht vorwurfsvoll den Zeigefinger oder erklärt Dinge in langen Worten. Das Thema und die Richtung des Films bleiben lange unklar. Erst durch die verzweifelten Taten der Protagonist:innen kommt dann mit Macht die Erkenntnis.
Inszenatorische Bilderwucht

Auch interessant: Beating Hearts – Filmkritik

Diesen unglaublichen Sog entfaltet der Film aber auch, weil er malerische Bilder bietet. Besonders in Erinnerung bleibt mir dabei der Heutunnel, welcher auch schon im Trailer zu sehen ist. Er wirkt wie ein Zeittunnel, der es uns ermöglicht durch die Augen eines jungen Mädchens (Alma) am Anfang des 20. Jahrhunderts zu schauen. Alma steht auch klar im Zentrum des Films, denn ihre Geschichte nimmt etwa ein Drittel der Lauflänge ein.
Einprägsam ist mir auch eine Begebenheit geblieben, bei der sie gezwungenermaßen auf einem Baum übernachten muss. Diese Episode zeigt auch wie grausam manche Kinder sein können.
Der Film spielt vorwiegend im Sommer und die flirrende Sommerhitze ist förmlich durch die Kinoleinwand zu spüren. Diese Sommeridylle wird dabei immer wieder von fast alptraumhaften Sequenzen unterbrochen. Einige Protagonistinnen denken zum Beispiel mehrmals an Selbstmord (sage nur Mähdrescher und totes Reh).
Interessante Entstehungsgeschichte

Auch interessant: Die Farben der Zeit – Filmkritik
Wie Co-Drehbuchschreiberin Louise Peter in einem Interview für epd Film erwähnt, kam die Idee zum Film ihr und ihrer Kollegin und Regisseurin Mascha Schilinski als sie während Corona ungefähr ein halbes Jahr auf einem Vierseithof praktisch eingesperrt waren. Der gleiche Hof auf dem sie später zusammen den Film drehen würden. Sie plünderten außerdem die lokale Bücherei und recherchierten allerlei Geschichten aus den letzten 100 Jahren.
Die beiden kennen sich schon seit ihrer Schulzeit in Berlin und wollten unbedingt ein Projekt zusammen realisieren, seit sie sich einige Jahre später auf der Filmschule wiedertrafen. Sie stellten schnell fest, dass sie mit ähnlichen Themen beschäftigtt waren. Es entstand die Idee einen Film zudrehen, der Traumata zwar thematisiert, aber diesen Begriff nicht inflationär benutzt. Die Bilder sollten für sich sprechen, ohne zur sehr auf das Thema zu zeigen.
Wichtig ist ihr im Interview auch der Fakt, dass es Traumata im jedem Leben gibt. Oft überwunden geglaubt, können sie plötzlich hervorbrechen, wenn wieder etwas unvorhergesehenes passiert, was unser Leben belastet. Davon erzählt auch der Film immer wieder in Episoden.
Über Seelen und Geister

Auch interessant: Dracula – Die Auferstehung – Filmkritik
Sehr gut ist ihnen dabei diese transzendentale Note gelungen, die Peter immer wieder im Interview betont. Dabei der Film nie zu deutlich, um nicht esoterisch zu wirken. Beispielsweise die thematisierten Bilder mit den Verstorbenen, auf denen diese möglichst lebensecht wirken sollten, entsprechen der Realität und gab es wirklich. Die junge Alma fühlt sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder von Geistern beobachtet und schaut dabei in einer Szene auch gezielt in die Kamera. Alles kleine aber feine Gesten.
Interessant ist auch noch, dass der Film sehr exakt nach dem Drehbuch gefilmt ist. Ein Problem war dann nur, dass bestimmte Szenen wegen schlechtem Wetter nicht gedreht werden konnten und der Film im Schnitt nochmals komplett umarrangiert werden musste. Letztendlich ist also die Reihenfolge komplett anders als ursprünglich vorgesehen. Es könnte sich also lohnen, das Drehbuch zu lesen oder eine hoffentlich kommende Buchadaption.
Ein interessanter Drehort
Gedreht wurde komplett nur auf einem Vierseithof in Brandenburg. Auch aus Budgetgründen. Dabei wurde für jede Epoche zunächst das Gebäude komplett umdekoriert und nach Abschluss dann die nächste Epoche eingerichtet. Im alten Hof waren wohl auch Überreste aus verschiedensten Epochen noch vorhanden. Etwa eine Werkstatt aus den 1930er Jahren oder ein halbgedeckter Tisch aus den 1970ern. Insgesamt benötigten sie für alle Aufnahmen nur 33 Drehtage.
Die Figuren beruhen übrigens auf realen Begebenheiten von denen Peter und Schilinski gehört hatten oder die ihnen begegnet sind bei ihren Recherchen. Etwa die Sterilisierung von Dienstmägden.
Fazit zu „In die Sonne schauen“
„In die Sonne schauen“ ist eine magische, fast transzendentale Reise in die Vergangenheit von mehreren weiblichen Generationen. Bezaubernde Bilder, schauspielerische Ausnahmetalente und ein interessantes, aber durchaus sperriges Drehbuch machen diesen Film zu etwas besonderem und einem würdigen deutschen Vertreter bei den Oscars.
Aus diesen Gründen gebe ich sehr gute 9 von 10 Heuballen.
Werdet ihr euch „In die Sonne schauen“ ansehen?
TRAILER: © Neue Visionen Filmverleih

MADDIN – Filmkritiker
Schon als Kind bin ich von Star Wars begeistert. Mein erster bewusst wahrgenommener Kinobesuch ist die Sichtung von Star Wars Episode I und mein 9-jähriges Ich war hellauf begeistert. Noch heute hat dieser Film einen großen Platz in meinem Herzen. Generell mag ich insbesondere SciFi-Filme und Fantasy (Herr der Ringe). Seit 2021 mache ich Letterboxd unsicher und seitdem hat sich mein Filmgeschmack auf alle möglichen Genres ausgedehnt. Sogar an Horrorfilme traue ich mich vermehrt heran.
Transparenzhinweis: Affiliate-Programme
Wir möchten dich darüber informieren, dass wir an Affiliate-Programmen teilnehmen. Das bedeutet, dass wir eine kleine Provision erhalten können, wenn du über einen unserer Links Produkte oder Dienstleistungen kaufst. Für dich entstehen dabei keine zusätzlichen Kosten – der Preis bleibt derselbe.
Durch diese Unterstützung können wir unsere Inhalte weiterhin kostenlos zur Verfügung stellen und stetig verbessern. Vielen Dank, dass du uns auf diese Weise hilfst!
Dir gefällt was wir machen? Dann supporte uns! Kommentiere, teile und like unsere Beiträge auch in Social Media. Mit deiner Unterstützung sorgst du dafür, dass die Seite weiter betrieben werden kann.
Hinweis zum Urheberrecht:
Alle Texte auf diesem Blog sind urheberrechtlich geschützt. Eine Verwendung, Vervielfältigung oder Weitergabe – ganz oder in Teilen – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung gestattet. Zitate sind unter korrekter Quellenangabe erlaubt. Bei Fragen zur Nutzung bitte Kontakt aufnehmen.
Pressestimmen zu „In die Sonne schauen“:
Sabine Horst von epd Film
Da kann es schon mal vorkommen, dass die Kamera in einer ununterbrochenen Kreisfahrt durch Diele, Küche, Stuben plötzlich in einer anderen Ära landet. Dass Vergangenes oder Künftiges in das klassische 4:3-Format der Bilder einblutet. Und überhaupt könnte die Bildgestaltung (Fabian Gamper) mit den malerisch-soften Farben und dem auffallenden Korn ein Einspruch sein gegen den grotesken Hyperrealismus, der in unserer Zeit der hochauflösenden Streams und gigantischen Fernsehbildschirme herrscht, gegen ein Regime der Klarheit und Eindeutigkeit, das der Arbeit des menschlichen Auges eigentlich fremd ist. Mit der gezielten Verschiebung der Wahrnehmung etabliert »In die Sonne schauen« einen Raum, in dem auch Immaterielles erscheinen kann: Gefühltes, Geahntes, Geträumtes. Ist das jetzt eine feministische Ästhetik? Kann man so sehen. 5 von 5 Sternen
⁘
Antje Wessels von Wessels Filmkritik
Mit „In die Sonne schauen“ gelingt Mascha Schilinski ein nahezu unvergleichbares Mammutwerk für die Ewigkeit. Den Zugang zu den verschiedenen Geschichten muss man sich erarbeiten. Auch nach dem Film weiß man möglicherweise noch nicht alles für sich einzuordnen. Aber nach und nach entfaltet sich eine Faszination, die im deutschen Kino ihresgleichen sucht. Genres verschmelzen, das Gefühl für Zeit wird aufgebrochen und Schicksale fließen ineinander, obwohl zwischen ihnen viele, viele Jahrzehnte liegen.
⁘
Filmkritikerin Regina Roland
IN DIE SONNE SCHAUEN ist ein Ereignis. Der Film stellt Sehgewohnheiten auf den Kopf, verwirrt und berührt und lässt die Zuschauer tief eintauchen in das Leben seiner Figuren. Eine sinnliche Erfahrung, die weit über die Leinwand hinaus nachwirkt.
⁘
Marius Joa von Vieraugen Kino
Virtuos komponiertes und stark gespieltes Mosaik über vier Generationen von Mädchen und Frauen bzw. deren Verbindungen. 9 von 10 Punkten.
Eine RiMa Koproduktion | Pressematerial: In die Sonne schauen | 2025 © Neue Visionen Filmverleih










4 Kommentare
Herausragender Film, auf mehr als eine Weise.
Danke für Zitat/Verlinkung meines Review.
@medienhobbit immer gerne! Und ich finde den auch sehr gut. Bin gespannt, ob der bei den Oscars was reißen kann.
Das wäre doch direkt mal ein Film für mich – nachdem eine Dame in meiner Reisegruppe den Film zwar schon gesehen hat, mir aber nicht erklären konnte, um was es genau ging und sie dann noch sagte, sie wäre hinterher ratlos aus dem Kino gegangen. Dank eurer Filmrezension kann ich mir nun ein genaueres Bild machen und bin gespannt, ob er überhaupt noch bei uns läuft.
Sehr gerne @blaupause7!
Wenn du Glück hast kommt der in die engere Auswahl für die Oscars und wird dann nochmal aufgeführt vor der Verleihung. Oder dein lokales Arthouse-Kino hat den noch im Programm.
Ansonsten Digital. 😉