Setzt eure Helme auf, lasst die Morten heulen! Heute nehmen wir euch mit „The Bikeriders“ auf eine Spritztour mit 🏍
Es war ein beschissener Samstag, an dem ich startete. Der Traum vom Heim-EM-Titel war vergangen, der Abend danach eine Qual, meine Laune am Boden. Ich war leicht gereizt, ja sogar aggressiv. Auf den Rat meiner besseren Hälfte sollte ich die Abendplanung verwerfen und etwas tun, das mich ablenkt und auf andere Gedanken bringt. „Gab es da nicht diesen Film, den du seit einem Monat schauen wolltest? Wie hieß der noch einmal?“ fragte sie mich, als wir mit dem neuen Terrassentisch im Gepäck von Jysk nach Hause fuhren. „Welchen genau? Da musst du schon etwas spezifischer werden“, sagte ich. Zwar mit einem Schmunzeln, aber mit Anspannung in der Stimme. „Der mit den Motorradfahrern!“ antwortete sie und traf den Nagel auf den Kopf.
Anstatt also mit meinen Freunden die anderen beiden Viertelfinalspiele zu gucken und den Abend in einer Bar ausklingen zu lassen, bewegte ich meinen Hintern ins Kino. Neben der letzten Vorstellung des Haikyu-Films, schaute ich auch „The Bikeriders“ in einem improvisierten Double Feature.
Meine Laune war dank des ersten Films schon deutlich angehoben, als ich mich nach einer kleinen Pause erneut in einen anderen Saal meines Stammkinos setzte. Was dort in den kommenden zwei Stunden an mir vorbeifegte, war wie der Wind der leeren Highways im mittleren Westen der späten 60er Jahre.
Ein Beitrag von: Lennart Goebel
Worum geht es in „The Bikeriders“?
Bennys (Austin Butler) Leben dreht sich Mitte der 1960er-Jahre um genau zwei Dinge: die Leidenschaft für den Motorrad-Club der Vandals unter Anführer Johnny (Tom Hardy) und die Liebe zu seiner Frau Kathy (Jodie Comer), die ihn vom ersten Moment an als den unzähmbaren Rebellen akzeptiert, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat. Doch ihre hingebungsvolle Beziehung wird im Laufe der Jahre zunehmend auf die Probe gestellt, denn Benny hat sowohl dem charismatischen Johnny als auch seiner Frau die Treue geschworen. Schon bald werden die Vandals nicht nur immer größer, sondern auch gefährlicher. Benny muss sich entscheiden zwischen seiner Loyalität zu Johnny und seiner Liebe zu Kathy.
Für Kathy (Jodie Comer) ist Benny (Austin Butler) die Liebe ihres Lebens. Schon ein paar Wochen nach ihrer ersten Begegnung sind sie Mann und Frau, auch wenn ihr von Anfang an klar ist, dass er ihr nie ganz gehören wird – zu wichtig ist ihm sein Leben als Mitglied des Motorrad-Clubs Vandals und zu groß seine Loyalität für seinen besten Freund und Vandals-Anführer Johnny. Im Laufe eines Jahrzehnts wird im Mittleren Westen der USA aus einem kleinen rebellischen Motorradclub eine berüchtigte Rocker-Gang. All das, was die Vandals ausmachte, steht ebenso auf dem Spiel wie Bennys Liebe, und er muss sich entscheiden, wem seine Treue gehört.
Festgefahrene Charaktere & retrospektive Erzählweise
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Im Vorfeld hatte ich nur Gutes über die Arbeit von Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols gehört. Mein geschätzter Kollege @maddin809, der den Film schon einige Wochen vor mir gesehen hatte, behauptete sogar, dass dieser Film explizit meinen Geschmack treffen würde. Im Nachhinein kann ich ihm das nicht verneinen. Die etwas langsameren Dramen, vor allem basierend auf wahren Begebenheiten, sind definitiv eine spezielle Nische in meinem Filmgeschmack.
Doch bin ich auch jemand, der gerne eine wirkliche Charakterentwicklung sieht. Viele Filme, die ich in den letzten Tagen und Wochen gesehen habe, haben sich damit beschäftigt, Geschichten zu erzählen, in denen die Charaktere sehr festgefahren sind. Zuletzt bei „Alles steht Kopf 2“ hatte ich das Gefühl, dass die Charaktere wieder dieselbe Entwicklung durchmachen müssen, was einen Film dann irgendwie redundant erscheinen lässt. Bei „The Bikeriders“ hatte ich dieses Gefühl nicht. Dennoch fand ich die Charaktere sehr festgefahren, was wahrscheinlich der retrospektiven Erzählweise geschuldet ist.
Der Motorradclub als Wandel und Dynamik im Mittelpunkt
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Kathy (Jodie Comer) erzählt. Die späteren Ereignisse im Film werden von ihr nach Jahren reflektiert. Diese retrospektive Erzählweise führt dazu, dass die Charaktere in ihren damaligen Rollen und Sichtweisen fest verankert bleiben. Die älteren Mitglieder des Clubs schieben die Schuld für die Probleme den neueren Mitgliedern zu. Der sich entwickelnde Charakter des Films ist daher der Motorradclub selbst, dessen Wandel und Dynamik im Mittelpunkt stehen.
Diese Entwicklung des Clubs als Kollektiv kommt jedoch aus charakterspezifischer Sicht zwar zur Geltung, spielt jedoch eher im Subtext der Geschichte. Diese thematisiert Freundschaft, Verrat, Loyalität und den amerikanischen Traum. „The Bikeriders“ ist in seiner Summe ein Film zum mitfühlen und zum Nachdenken. Ein Film, der ohne dass ich zu viel verrate, seinen Kopf auf den Schienen der Zeit hat. Ein echtes Period-Piece zum miterleben. Und ohne das Buch selbst in den Händen gehabt zu haben, ein wahrscheinlich sehr treue Adaption eines Zeitzeugnisses.
Ein starker Haufen Männer
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Der größte Trumpf des Films liegt in seinem Cast. Neben Austin Butler und Tom Hardy in den Hauptrollen, besteht das Ensemble aus vielen verschiedenen, wenn auch durchweg weißen Männern. Ich hab mich gefreut, auch Michael Shannon darunter zu sehen. Der passt aber auch sehr gut in dieses Setting, wenn ihr mich fragt. Die Art und Weise, wie diese Schauspieler die rauen, grimmigen Motorradfahrer darstellen, ist einfach herrlich anzusehen. Gerade zu Tom Hardy passt das einfach. Ich will nicht sagen er könnte nicht schauspielern, dennoch sind es doch eben genau diese Rollen, die ihm am besten zu Gesicht stehen.
Austin Butler bringt eine solide, stoische Leistung auf die Leinwand, bleibt aber im Vergleich zu seiner diesjährigen Top-Performance als Feyd-Rautha Harkonnen etwas hinter den Erwartungen zurück. Die stärkste Performance liefert jedoch die Frontfrau Jodie Comer. Ihre Darstellung als Kathy ist nicht nur das Herz des Films, sie erweckt auch durch ihre Rhetorik und die Art, wie sie die Leute darstellt, die Geschichte zum Leben. Besonders in den Interviewszenen, in denen sie die Ereignisse als Retrospektive erzählt, ist sie am stärksten.
Die Kostüme und das Make-Up sind mittlerweile an einem Punkt in Hollywood in dem man eigentlich nicht mehr ein schlechtes Wort erwähnen kann. daher bleibt es meist unbeachtet. Doch das komplimentiert das Gesamtbild des Ensembles. Alle Mitglieder sind in ihrem Individualismus dargestellt. Alles in Allem macht „The Bikeriders“ hier alles richtig und das sollte man ihm zu Gute heißen.
Die visuelle und akustische Komponente von „The Bikeriders“
Visuell und akustisch gibt es an dem Film wenig auszusetzen. Diese Feststellung könnte man als Kritik auffassen, aber ganz nach dem deutschen Motto: „Dreimal nicht gemeckert ist einmal genug gelobt.“ Tun wir das nicht. Der Film sieht realistisch und authentisch aus. Er bietet eine gelungene Mischung aus langsamen Einstellungen und chaotischer Kameraführung. Die Cinematografie entspricht mehr oder weniger dem Standard und könnte als Lehrbuchbeispiel dienen. Dennoch hat der Film definitiv Szenen, die herausstechen und besonders gut aussehen. Einige Bilder könnte man sogar einrahmen.
Besonders eindrucksvoll fand ich eine prägende Szene, die nicht nur im Kontext der Gesamtgeschichte wichtig ist, sondern auch visuell beeindruckt. In dieser Szene sehen wir Tom Hardy in Zeitlupe auf seiner Maschine, wie er an einer Gruppe junger Erwachsener vorbeifährt, gefolgt von seinem Motorradclub. Das Bild eines Mannes, der Freiheit verkörpert, zu dem man als junger Mensch in den 60ern aufschauen konnte. Diese Szene hat nicht nur Bedeutung für den späteren Verlauf des Films, sondern symbolisiert auch alles, was der Film im Kern sein will: Ein Blick hinter die Fassade des idealisierten Bildes, das viele noch heute von den Mitgliedern eines Motorradclubs haben.
Fazit zu „The Bikeriders“:
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„The Bikeriders“ hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht, obwohl ich nicht wie so häufig in Lobeshymnen ausbreche. Der Film bleibt der Vorlage offenbar treu und schafft es eine realitätsnahe Geschichte zu erzählen. Ohne sie zu überdramatisieren, wie es leider viele andere tun. Das Leben schreibt keine Dramen, sondern einfach nur Geschichten und diese war allemal eine Verfilmung wert. Ein starker und sympathischer Cast wird gut eingefangen und vermittelt eine starke Botschaft. Leider hebt sich der Film, trotz meiner Sympathie, nicht deutlich von der Masse an verschiedenen Produktionen heutzutage ab. Ich denke jedoch, dass der Film seine Zielgruppe glücklich zurücklassen wird. Jeder, der sich selbst zu den Zweiradfans zählt, sollte sich überlegen, ob er dem Film nicht eine Chance gibt.
Letztendlich motivierte mich „The Bikeriders“, meine gecancelten Pläne doch noch umzusetzen und zu meinen Freunden in die Bar zu stoßen. Filme, die einem etwas über sich selbst beibringen, sind die schönsten. Dieser Film hat mir persönlich nichts Neues über mich beigebracht, aber das sollte er auch nicht. Ich würde „The Bikeriders“ nicht zu den besten Filmen des Jahres zählen, doch ist es ein Film, dessen Leistung nicht unter den Teppich gekehrt werden sollte.
Was haltet ihr von solchen Filmen? Mögt ihr semi-biografische Filme, die auf Zeitzeugnissen basieren, oder bevorzugt ihr Eskapismus und Fantasie? Schreibt eure Meinung in die Kommentare und wir hören uns demnächst wieder.
Bis dahin, euer Lennart.
Werdet ihr euch „The Bikeriders“ im Kino ansehen?
TRAILER: ©Universal Pictures International Germany
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LENNART – Filmkritiker
Seit November 1995 mache ich das Internet unsicher. Und nachdem ich viel zu früh gesehen habe, wie ein Anwalt von einem Tyrannosaurus-Rex gefressen wurde, ein Feuchtfarmer die Galaxy rettet und ein Waisenjunge erfährt, dass seine Eltern Zauberer waren, seitdem ist es um mich geschehen. Filme sind für mich das Medium Nummer 1. Auch wenn ich so gut wie jeder Form von Kunst etwas abgewinnen kann, ist es das bewegte Bild, das mein Herz am meisten eingenommen hat. Abgesehen vom American Football, der mich 22 Jahre begleitet hat. Und durch Filme wie „Remember the Titans“ meine eigenartige Vorliebe für den Sportfilm geweckt hat, weswegen man mich auf Letterboxd nur als den Coach kennt.
Pressestimmen zu „— The Bikeriders“:
Axel Timo Purr von artechock
Jeff Nichols hyperreal flimmernder Biker-Film erzählt souverän von der sich wandelnden Biker-Gegenkultur der späten 1960er und frühen 1970er und einem Amerika, das so zerrissen ist wie heute.
Bianka Piringer von Film-Rezensionen.de
In einem Club der 1960er Jahre im Mittleren Westen bilden Motorradfahrer eine Gemeinschaft freiheitsliebender Außenseiter. Regisseur Jeff Nichols ließ sich von einem Fotobuch zu dieser nostalgischen, aber auch humorvollen Würdigung einer amerikanischen Subkultur inspirieren. Mit Jodie Comers Figur einer jungen Biker-Ehefrau, die auch als Erzählerin dient, gelingt Nichols ein wirkungsvoller Kontrast zur hartgesottenen Männerwelt mit Austin Butler und Tom Hardy in zentralen Rollen.
Gerhard Midding von epd.film
Acht Jahre sind vergangen, seit Jeff Nichols mit »LOVING« und »MIDNIGHT SPECIAL« zu einem bravourösen Doppelschlag ausholte. Nun kehrt er endlich ins Kino zurück, mit einem eigenwilligen Bikerfilm, der inspiriert ist von Danny Lyons gleichnamigem Fotoband
Kamil Moll von Filmstarts
In „The Bikeriders“ erzählt Jeff Nichols die Geschichte einer fiktiven Motorradgang in den 1960er-Jahren als klassische Story von Aufstieg und Fall, verbindet durch seine ausgezeichnete Schauspieler*innen aber die nostalgisch angehauchte Story mit einer unmittelbaren körperlichen Gegenwärtigkeit und Präsenz, wie sie im heutigen Kino selten geworden ist.
Pressematerial: — The Bikeriders | 2023 ©Universal Pictures International Germany