Der Film „November“ aus dem Jahr 2017 ist eine einzigartige Verschmelzung von Folklore, Liebe und dunkler Magie. Als Vorlage für dieses visuelle Meisterwerk diente Andrus Kivirähks „Der Scheunenvogel“ (im estnischen Original Rehepapp). Die Vorlage galt lange als unverfilmbar. In unserer „November – Filmkritik“ erfahrt ihr heute mehr über den Film und ob es sich lohnt, einen Blick zu riskieren.
Worum geht es in „November?
„November“ aus dem Jahr 2017 ist ein Fantasy-Horror Film von Rainer Sarnet mit Rea Lest, Jörgen Liik, Arvo Kukumägi, Katariina Unt und Taavi Eelmaa.
Der Film entführt uns in eine düstere Fantasiewelt, die dem 19. Jahrhundert in einem estnischen Dorf ähnelt. Das Dorf wird von einer bedrohlichen Seuche heimgesucht, die durch verschiedene Tierfiguren symbolisiert wird. In dieser unheimlichen Umgebung treiben Hexen, Werwölfe und Geister ihr Unwesen. Doch besonders faszinierend sind die sogenannten Kratts, seltsame Wesen, die aus zusammengesetzten Werkzeugen bestehen und für deren Erschaffung die Bauern ihre Seelen dem Teufel verkaufen. Sobald der Kratt seine Aufgaben erfüllt hat oder keine mehr hat, tötet er gnadenlos seine Besitzer. Im verzweifelten Kampf ums Überleben inmitten eines bereits eisigen Novembers, greift das Dorf zu Lügen, Betrug und Diebstahl.
Die Handlung des Films bleibt eher vage und episodisch. Die Erzählstruktur verwendet Zeitsprünge und wechselt schnell zwischen verschiedenen Hauptfiguren und Nebenhandlungen. Im Gegensatz zur literarischen Vorlage, in der jeder Tag im November ein eigenes Kapitel hat, konzentriert sich der Film auf eine zentrale Geschichte: die unerwiderte Liebe von Liina zu Hans. Hans wiederum liebt die Tochter des Barons. Beide versuchen, ihre Sehnsüchte mithilfe dunkler Magie zu erfüllen, doch am Ende finden sie nicht zueinander. Gerade als Hans beginnt, Liina zu bemerken, schmilzt sein Kratt, ein Schneemann, der von Liebe erzählt, und der Teufel bricht ihm das Genick. Liina hingegen begibt sich in den See. Erst im Jenseits finden die beiden endlich zueinander.
Ein Beitrag von: Riley Dieu Armstark
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Meinung:
In den letzten Jahren hat sich das Horror-Genre etwas in eine künstlerische Richtung bewegt. Ari Aster setzt besonders auf Ästhetik und schafft beeindruckende, visuelle Kunstwerke, während andere wiederum auf Technik und Atmosphäre setzen. Das Horrorkino in den 1960er und 1970er Jahren erlebte damals eine interessante Entwicklung und prägte das Genre auf vielfältige Weise. Klassische Monsterfilme, psychologische Horror, sowie Exploitation-Filme formten das Horrorkino. Aber auch Okkultismus und Satanismus war in den 70er Jahren schwer im Kommen. Später entwickelten sich die Slasher-Filme, die auch besonders in den 90er Jahren beliebt waren und heute noch immer gerne geschaut werden. Dieses Gerne erlebte auch einige Parodien.
Der italienische Giallo, ein Gerne, das man bereits in den 60er Jahren als psychologischen Horror mit visuell ansprechender Ästhetik verband, lieferte bereits künstlerische Aspekte, die das Horror Genre noch einmal auf eine ganz andere Ebene hob. Später legte George A. Romero’s „Night of the Living Dead“ (1968) den Grundstein für das moderne Zombie-Genre und war ein wichtiger Einfluss auf Horrorfilme der 1970er Jahre. Bereits die 60er und 70er Jahre waren eine Zeit des Wandels und der Experimente. Es entstanden viele Subgenres und Stile.
In den letzten Jahren entsteht ein neuer Wandel, die Horrorfilme werden ruhiger, atmosphärischer und ästhetischer. Die Filmemacher*innen setzen besonders auf die Kameraarbeit und die Soundtechnik. Zudem gesellt sich eine ruhige Erzählweise dazu. Filme wie „The Other Lamb“, „Hagazussa“ oder „The Wind“ bieten großartige Bilder und bauen die Storyline langsam und nervenzehrend auf. Das Publikum braucht hier Geduld, wird jedoch durch den Score getragen. Zudem entfernt sich das Horror Genre mehr von dem üblichen Gemetzel, das wir bereits kennen und zeigt nur leise, blutige Szenen, die teilweise philosophisch auf das Publikum wirken. So auch der Film von Goran Stolevski „You won’t be Alone„, der mehr Märchen, als Horrorfilm ist, aber ebenso von Folklore, alten Bräuchen und Hexen erzählt.
Horror als Kunstprojekt
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Rainer Sarnets Horrorfilm „November“ reiht sich unter diese künstlerischen Werke, die die Zuschauer*innen durch ihre fantastischen Bilder fesseln. Solche Bilder kennt man besonders von Andrei Tarkovskys früheren Arbeiten, von dem sich Regisseur Rainer Sarnet vermutlich auch inspirieren ließ. Seit 2005 versuchte er den Stoff zu verfilmen, bekam aber nicht so den richtigen Drive für ein visuelles Konzept. Dies kam ihm schlussendlich, als er Fotografien des estnischen Fotopioniers Johannes Pääsuke betrachtete. Zudem nahm er sich die Werke „Dead Man“ von Jim Jarmusch, „A Chinese Ghost Story“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zum Vorbild.
Für „November“ kamen 5 verschiedene Kameras zum Einsatz, darunter sogar ein Mobiltelefon. Bei den Dreharbeiten im Sommer verwendete Mart Taniel, der die großartige Kameraarbeit für „November“ lieferte, einen Infrarotfilter, um den Effekt zu erzeugen, die Handlung spiele im Winter. Das Endprodukt kann sich sehen lassen. Die Bilder wirken wie alte Schwarz-Weiß-Fotografien und bieten zusätzlich großartige Perspektiven.
Ebenso gelungen sind die Effekte, denn offensichtlich wurde hier auf CGI verzichtet und man griff zu altbekannten zurück. Die Kratt, die sich in die Handlung mit einschließen, wirken wie gutes, altes Stop Motion Kino, was besonders in die andere Technikarbeit des Films passt.
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Vom Roman zum Film
„November“ ist eine einzigartige Verschmelzung von Folklore, Liebe und dunkler Magie. Rainer Sarnet nahm sich Andrus Kivirähks „Der Scheunenvogel“ zur Vorlage. Der Roman galt bis dahin als unverfilmbar. Wer die Vorlage nicht kennt, hat es möglicherweise schwer, alles zu verstehen, was in „November“ passiert. Der Film folgt nicht zwangsweise einem roten Faden, ist jedoch voll von Metaphern und Anekdoten. Auch muss man mehr oder weniger mit den Bräuchen und der Folkore aus Estland vertraut sein, sonst versteht man manche Handlungsstränge nicht. Der Fokus liegt im Film besonders auf einer tragischen Liebesgeschichte, aber auch darauf, dass die Bewohner des kleinen Dorfes von der Pest heimgesucht werden.
Die Pest tritt immer wieder als ein Tier in Erscheinung, was einerseits sehr interessant und auch sehr philosophisch ist. In dieser frostigen Welt, wo die Gesellschaft in einer Amoralität verweilt, spüren die Charaktere den unabwendbaren Winter des Lebens, der sie dazu treibt, ihre Seelen zu opfern und dunkle Mächte zu beschwören. Mit der episodischen Erzählstruktur wollte Rainer Sarnet den verzerrenden Zeitfluss des Novembers spiegeln und setzt Sprünge und dem taktischen Wechsel zwischen Hauptfiguren und Nebenhandlungen ein. Leider fühlt sich „November“ dadurch auch ein bisschen sperrig an und das Publikum verliert immer wieder den Zugang zum erzählten.
Rea Lest als Liina und Jörgen Liik als Hans, liefern eindringliche Performances, die die emotionalen Tiefen ihrer Figuren durchdringen. Auch der restliche Cast fügt sich gut in das Szenario, das von betörender Morbidität geprägt ist, ein. Ob Andrus Kivirähk mit der Adaption seines Romans zufrieden ist bleibt offen.
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Fazit:
„November“ ist ein hypnotisierendes, cineastisches, surreales Opus von provokanter und transzendentaler Natur. Der Film überschreitet die Grenzen des Geschichtenerzählens und fordert die visuellen Poesie heraus. Mit seinen düsteren Bildern und subtilen Metaphern bietet „November“ ein Spektrum der Filmkunst an. Die episodische Erzählstruktur, die keinem genauen Leitmotiv folgt und hin und her springt, macht es dem Publikum schwierig, sich richtig in den Film hineinfallen zu lassen. Dennoch ist „November“ ein optisches Meisterwerk, das das Horror Genre auf eine neue Ebene hebt und begeistern kann.
Wie hat euch der Film „November“ gefallen?
TRAILER: ©Drop-Out Cinema eG | Estonian Film Institute
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RILEY – Chief Editor
Ich blogge seit dem 14. Dezember 2014 auf passion-of-arts.de. Schon in meiner Jugend schrieb ich viele Gedichte und Kurzgeschichten. Seit ca. 12 Jahren widme ich mich professionell Filmrezensionen und war Guest Writer bei der Filmblogseite „We eat Movies“. Außerdem verfasste ich einige Artikel für das 35 MM Retro-Filmmagazin. Ich sterbe für Musik und gehe liebend gerne ins Kino, außer in 3D. TV ist überbewertet, ich gucke lieber DVD, Streaming oder Bluray. Meine Lieblingsfilme sind unter anderem „Titanic“, „Herr der Ringe“ und „Back to the Future“.
Andere Meinungen zu „November“:
epd-Film
Einen solchen Film bekommt man nur alle paar Jahre zu sehen. Einen Film, der so etwas wie ein Universum kreieren kann, mit einer visuellen Poesie, die sich um die Realität nicht schert, die surreal ist, aber manchmal auch ganz geerdet. Ein Film, der sich der Motive der schwarzen Romantik bedient, aber auch archaischer Mythen. Gedreht in einem Schwarzweiß, das man heute vielleicht nur bei Pawlikowski sieht oder früher bei Tarkovskij gesehen hat.
Film Rezensionen.de
Romantisch, komisch, alptraumhaft – in „November“ trifft vieles zusammen, was nicht zusammengehört. Aber die Mischung aus Bekanntem und Unbekannten ist so eigenwillig, dass man sich der Faszination kaum entziehen kann. Gekrönt wird diese seltsame estnische Romanverfilmung von grandiosen Schwarzweißbildern, die nicht von dieser Welt sind.
Spielfilm.de
Eine in hypnotischen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangene Kino-Extravaganz zwischen Volksmärchen, Groteske, Liebes- und Horrorfilm. Außergewöhnlich!
Cinema.de
Ein seltsam schöner Film, voller estländischer Mythen und mit manch bizarren Einfällen.
2 Kommentare
Das könnte mir vielleicht auch gefallen.
@wortman Bin mir nicht ganz sicher. Aber riskiere gerne mal einen Blick. Kann man auf Prime in Freevee sehen. Sag mir gern, wie du ihn fandest.