Sie sind überall, die alten weißen Männer! Jetzt gibt es zu dem Thema einen Film. Jan Josef Liefers lädt das Publikum in „Alter weißer Mann“ zu einem Diskurs der Geschlechter ein. Ob sich ein Blick lohnt, erzähle ich euch in den folgenden Zeilen.
Ein Beitrag von: Florian
Worum geht es in „Alter weißer Mann“?
„Alter weißer Mann“ aus dem Jahr 2024 ist eine deutsche Komödie, inszeniert von Simon Verhoeven.
Um die lang ersehnte Beförderung endlich zu erhalten, muss Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers), ein alter weißer Mann, seine „wokeste“ Seite bei der Arbeit zeigen. Als er seine Vorgesetzten zu einem privaten Abendessen in sein Zuhause einlädt, beginnt die politisch korrekte Fassade seiner Familie schnell zu bröckeln und der Abend nimmt eine haarsträubende Wendung.
Ein „Alter weißer Mann“ in einer modernen Gesellschaft
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Die Gesellschaft befindet sich in einem steten Wandel. Das erfährt auch Heinz Hellmich immer wieder. Mit einem Alter so um die 60 Jahre tritt er ab und an in das ein oder andere Fettnäpfchen. Humor, welcher für ihn noch vor wenigen Jahren ganz normal war, könnte ihn nun seinen Job kosten. Dabei sieht Heinz sich selbst gar nicht als „alten weißen Mann“. Er möchte niemanden verletzen und wehrt sich gegen diese Einordnung. Oder besser gesagt, er hat Angst in diese Schublade eingeordnet zu werden.
Wissenschaftlich ist die Bezeichnung „alter weißer Mann“ keinesfalls. Viel eher handelt es sich um einen sozialen Stempel, der bestimmte Männer als nicht mehr zeitgemäß in ihren Ansichten zeichnet. Die Begrifflichkeit ist also negativ konnotiert und gleichzeitig auch eine Art Vorurteil. Heinz Hellmich sieht darin eine Gefahr für sich. Er will unbedingt ein Teil der Gesellschaft sein, der noch ernstgenommen und nicht nur belächelt wird.
Als Komödie ist „Alter Weißer Mann“ leider enttäuschend
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Politisch sticht der Film von Simon Verhoeven logischerweise in ein Wespennest. Es geht um Rassismus, Sexismus, Klimawandel, Gendern und die Kluft zwischen linker und rechter Politik. All das ausgerechnet in einer deutschen Komödie. Einem Genre, das eher belächelt wird, vor allem weil es oft von Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer repräsentiert wird, respektive wurde.
Dieses Vorurteil wird „Alter weißer Mann“ nicht beheben. Es ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Simon Verhoevens Film bestätigt viele negative Erwartungen. Klischees werden aneinandergereiht und als Zuschauer weiß man nie so recht, welche Position der Film beziehen will. Es wird versucht sich über alles lustig zu machen, nur gelacht habe ich dabei in den ersten 80 Minuten kein einziges mal. Dafür sind die Witze zu platt, zu bekannt und vor allem zu erzwungen. Der Verdacht, dass „Alter Weißer Mann“ doch nur eine eher inhaltslose Komödie sein soll, die jede Person im Kinosaal in ihrer Meinung bestätigt drängt sich auf.
Auch deshalb, weil die Geschichte mit zunehmender Laufzeit immer öfter von Subplots ausgebremst wird. Heinz Hellmich macht plötzlich eine spontane reise zu seiner Tochter und erlebt eine ganz besondere Odyssee. Und dann steht natürlich auch noch die finanzielle Gesundheit der eigenen Familie auf dem Spiel. Simon Verhoeven versucht all diese Themen zu verbinden und scheitert daran. Es will sich kein Fokus ergeben.
Ein starker letzter Akt, der dem brisanten Thema gerecht wird
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Das bessert sich erst als sich der Film auf seinen eigen Handlungskern besinnt. Gemeint ist das schicksalshafte Essen, bei welchem Heinz Hellmich sich unbedingt politisch korrekt verhalten muss. In Anbetracht der Hinführung ist es dann beachtlich, wie viel besser der Film nun ist. Leider erst nachdem bereits über 80 Minuten vergangen sind.
Das Abendessen wird nun genutzt, um die verschiedenen Charaktere aufeinander loszulassen. Viele unvereinbare Meinung, die eigentlich nur in noch mehr Streit enden können. Doch das Drehbuch lässt die Figuren miteinander sprechen und liefert gleichzeitig eine wahnsinnig aktuelle und wichtige Botschaft. Der Dialog ist ungemein wichtig. Jeder sollte den gegenüber aussprechen lassen und versuchen dessen Position zu verstehen. „Alter Weißer Mann“ plädiert dafür, dass eigene Schubladendenken zu hinterfragen und nach einem Konsens zu suchen. Es ist das Versteifen in Extremen, welches dazu führt, dass wir keine anderen Meinungen, mehr zulassen und andere Menschen sofort in Schubladen stecken um dessen Meinung und damit alles, was noch von ihm gesagt wird als falsch darzustellen.
„Alter Weißer Mann“ möchte die Menschen über diesen letzten Akt wieder näher zusammenbringen und uns dazu anregen, die eigene Diskussionskultur zu hinterfragen. Gerade deshalb ist es auch so schade, dass der Film dem Essen und somit den Gesprächen nur zum Ende etwas Zeit einräumt, statt die Figuren wirklich über einen längeren Zeitraum sagen zu lassen, was sie denken.
„Alter weißer Mann“ ist handwerklich ziemlich unspektakulär
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Ein Film ist nicht nur die Handlungsebene. Dementsprechend könnte Simon Verhoeven genannte erzählerische Schwächen mit der Inszenierung ein wenig ausgleichen. Es sei aber dazu gesagt, dass das Genre der Komödie hierfür meist die falsche Anlaufstelle ist. Das bestätigt auch „Alter weißer Mann“. Zwar fällt, von ein oder zwei schwachen Greenscreen-Momenten abgesehen, nichts wirklich negativ auf, nur leider eben auch nicht positiv. Die Bilder sind zwar klar über TV-Niveau anzusiedeln, aber wirklich aus der Masse herausstechen können sie auch nicht. Gleiches gilt für Schnitt und Musik. Lediglich Hellmichs Irrfahrten durch Berlin heben sich etwas vom Rest ab.
Das Schauspiel in „Alter weißer Mann“ ist eine positive Überraschung
Ohne Zweifel versucht „Alter weißer Mann“ viele Zuschauer daher durch den prominenten Cast in die Lichtspielhäuser zu locken. Gerade im Vergleich zu anderen deutschen Produktionen überrascht aber die Qualität.
Nadja Uhl hat als Ehefrau und Mutter in diesem Film keine komplexe Aufgabe zu erfüllen. Dennoch überzeugt sie mit Ruhe und Sympathie. Gleiches gilt auch für Friedrich von Thun als Großvater. Trotz seiner anfänglich eher schrägen Äußerungen schließt man ihn durch das Schauspiel ins Herz. Aber auch ein Elyas M’Barek macht Freude, obwohl seine Figur eher nicht zu den Sympathieträgern gehört. Er legt einfach genug Kraft in die schräge Figur, welche er verkörpert. Auch für Meltem Kaptan, Momo Beier und Juri Winkler gilt, dass sie mit ihrer Spielfreude den eher eindimensionalen Figuren Leben verleihen.
Lediglich zwei eher schwächere Leistungen sind zu beklagen. Zum einen ist das Yuan Huang als Lian Bell. Es ist nie ratsam mit nur einem Gesichtsausdruck durch einen Film zu laufen, wodurch die eigentlich für die Handlung wichtige Figur in Vergessenheit gerät.
Michael Maertens als Dr. Steinhofer ist hingegen gar störend und erfüllt dann doch noch schauspielerisch das Klischee der deutschen Komödie, wodurch er wie ein Fremdkörper im Ensemble anmutet.
Jan-Josef Liefers ist das Herzstück des Films
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Das Prunkstück des Films, sein Herz, ist nun aber Jan-Josef Liefers. Gemeinsam mit Axel Prahl als frank Thiel ermittelt er jährlich in der Rolle des Karl-Friedrich Boerne im Münsteraner „Tatort“, dem laut Umfragen immer noch beliebtesten Ableger der Krimi-Reihe. Zum Publikumsliebling dürfte er auch in „Alter Weißer Mann“ werden. Denn auch Heinz Hellmich wird nicht vom Drehbuch, sondern erst durch die schauspielerische Verkörperung wirklich präsent. Jan-Josef Liefers versucht nun mehrere Facetten der Figur zu zeigen. Ein Unterfangen, welches ihm gelingt. Durch ihn konnte ich als Zuschauer einen Zugang zu seiner Figur erhalten und eine emotionale Nähe aufbauen. Das wiederum sorgt immer wieder dafür, dass mir Heinz leidtat und ich ihm die Daumen für ein glückliches Ende seiner Geschichte drückte.
Fazit zu „Alter weißer Mann“:
Bei der Betrachtung von Details fallen viele Dinge ins Auge, die „Alter weißer Mann“ wirklich gut meistert. Der Cast ist größtenteils eine Stärke, die Inszenierung fällt zumindest nicht negativ auf und die Punkte, auf welche das Finale hinausläuft, regen nicht nur zum Nachdenken an, sondern transportieren wichtige Werte.
Es ist nur leider der Weg dahin, der sehr holprig ist. Die Komödie verfängt sich in klischeehaften Überspitzungen, ist nie wirklich witzig und schleppt sich zu einem weiten Teil durch die viel zu lange Laufzeit. Das ist schade, weil Simon Verhoeven mit dem Fokus auf das Essen im letzten Akt und dem Mut mehr eine dramatische Satire zu sein, ein wirklich guter Film hätte gelingen können, der mehr ist als nur Durchschnitt.
Werdet ihr euch „Alter weißer Mann“ im Kino ansehen?
TRAILER: ©Wiedemann & Berg Filmproduktion | LEONINE Studios
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FLORIAN – Filmkritiker
Meine Leidenschaft begann wohl schon recht früh in meiner Kindheit, als ich erstmals die Karl May Verfilmungen der 60er Jahre von Rialto Film sah. Daraufhin erforschte ich klassische und modernere Filmreihen von Star Wars bis hin zum Marvel Cinematic Universe. Irgendwann wurde aus der Lust nach Abenteuer und Action eine Liebe zum Medium Film, die mich auch abseits der berühmten Blockbuster auf faszinierende Reisen schickte. Seit Juli 2020 bin ich auf Letterboxd aktiv und erweitere seither meinen Horizont beständig. Daraus entwickelte sich seit der Sichtung von „RRR“ und dem Kinobesuch von „Jawan“ eine Liebe für das indische Kino. Offen bin ich abseits dessen für nahezu alle Jahrzehnte und Genres, lediglich amerikanischen Komödien bleiben ich am liebsten fern.
Pressestimmen zu „Alter weißer Mann“:
Anke Sterneborg von epd film
Was man früher mitleidig Midlife-Crisis nannte, ist heute zum vernichtenden Kampfbegriff »Alter weißer Mann« mutiert. Und darüber hat Simon Verhoeven jetzt einen Film gemacht.
Reinhard Kleber von Kino Zeit
Vor allem wenn es um den bissigen Umgang mit politisch aufgeladenen Begrifflichkeiten wie „alter weißer Mann“ geht, zeigt sich, wie gut Verhoeven pointierte Dialoge schreiben kann. Und bei allen Figuren, besonders bei der des Opas, mit großer Spielfreude als sturer Chauvi verkörpert von Friedrich von Thun, ist stets ein deutliches Augenzwinkern spürbar.
Christoph Petersen von Filmstarts
Eine eher sympathische als bissige Zeitgeist-Komödie, die gerade deshalb überzeugt, weil sie nicht so tut, als hätte sie – in die eine oder die andere Richtung – eh alles voll durchschaut. Stattdessen irrlichtert Simon Verhoeven zwar ohne klare Zielrichtung, aber dafür dennoch mit überzeugender Trefferquote durch den aktuellen Diskurs – und am Ende entpuppt sich eine (ziemlich arschige) Künstliche Intelligenz namens SAM als zuverlässigster Szenendieb!
Bianka Piringer von film-rezensionen.de
Mit einem Helden, der nicht aufs moralische Abstellgleis geschoben werden will, nimmt die Komödie von Simon Verhoeven die Auswüchse des woken Zeitgeists auf die Schippe. Jan Josef Liefers spielt den gestressten Angestellten und Familienvater, der eine Diversitätsbeauftragte von seiner Aufgeschlossenheit überzeugen muss, sehr sympathisch. Der Ensemblefilm lässt mit viel Dialogwitz konträre Auffassungen nicht nur zwischen Alt und Jung aufeinanderprallen. Doch der versöhnliche Kurs kostet die Geschichte auch einiges an Substanz.
Pressematerial: Alter weißer Mann | 2024 ©Wiedemann & Berg Filmproduktion
4 Kommentare
Sehr schöne Kritik als Einstand! Jetzt bin ich doch etwas neugierig. Im Kino werde ich den aber trotzdem nicht anschauen. Vermutlich erst wenn er irgendwo als Streamer kommt.
Vielen lieben Dank.
Im Stream reicht der auch vollkommen. Der hat jetzt nicht die grössten Kinoqualitäten.
Schöne Review. Dann hätte ein Kammerspiel mit einem gemeinsamen Essen besser zu dem Thema gepasst, vermute ich mal.
Danke Dir.
Das hätte ich auch lieber gesehen. Der Film unterminiert durch seine ersten 80 Minuten ja sogar seine eigene Botschaft, weil er die Figuren nicht zur Sprache kommen lässt. Erinnerte mich ein wenig an „Der Vorname“ bei dem die interessante Gesprächsidee nach einer halben Stunde für Klischees und viel zu viele Themen eingerissen wurde.