In meinem heutigen Artikel zur Miniserie „The Plot against America“ nehme ich Bezug darauf, wie die USA fast einmal zu einer faschistischen Diktatur wurde.
„The Plot Against America“ ist eine von HBO adaptierte Miniserie. Sie basiert weitestgehend auf der gleichnamigen Novelle von Philip Roth und erzählt eine alternative Geschichte der USA.
Bei den fiktiven Präsidentschaftswahlen 1940 erzielt Charles Lindbergh einen Erdrutschsieg gegen den amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Anhand der intensiv geschilderten Wahlkampfberichterstattung zeichnet sich für die genauen Beobachter schon ab, welche weitere Programmatik Lindbergh verfolgt. So geht seine Wahl mit dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen für die Bürger der USA einher. Unter der Regierung Lindberghs droht sich die USA schleichend zu einem völkisch-faschistischen Regime zu entwickeln. Die Erzählung blickt dazu auch genauer auf die Reaktionen der Bevölkerung. Insbesondere die Mittelschichtfamilie Levin, welche in einen idyllischen Vorort von Newark, New Jersey, wohnen steht im Fokus.
Natürlich gäbe es mit „The Man in the High Castle“ schon eine Version eines faschistischen Amerikas. Doch der Unterschied liegt in der kleinteiligeren Herangehensweise. „The Man in the High Castle“ zeigt eine Welt, die sehr schnell vollständig von den Nazis und Japanern kontrolliert wird. „The Plot against America“ erschafft eine subtilere, aber ebenso bedrohliche Atmosphäre. Nur hier beeinflussen die politischen Veränderungen das Leben der Menschen schleichend.
Diese schleichenden Veränderungen sind sehr nah an tatsächlichen historischen Ereignissen, Personen und politischen Interessen orientiert. So präsentiert die Serie eine große Auswahl an Zeitungsartikeln, Reden im Radio und Wochenschauen. Der besondere Clou daran ist, dass die Berichterstattung nahtlos von realen zu fiktiven Inhalten übergeht. Das verlangt dem Zuschauer nicht nur ein genaueres Verständnis der historischen Ereignisse und politischen Themen in den USA dieser Zeit ab, um die Bedeutung und Relevanz der Erzählung besser zu verstehen und interpretieren zu können, sondern auch ein Wissen über Art, Weise und Inhalte der Medienberichterstattung. Einhergehend mit der Medienberichterstattung, geht auch die reale Geschichtsschreibung unmerklich in eine fiktive Geschichtsschreibung über.
In dieser Analyse wird untersucht, wie Philip Roth reale historische Ereignisse und Themen aufgreift und akribisch in den Verlauf einer alternativen Zeitlinie integriert hat.
Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der USA im Jahr 1940
Schon nach ein paar Minuten hat mich die Inszenierung in den Bann gezogen. Ein Zauber der Kulissen erweckt das Jahr 1940 zum Leben. Gleißender Sonnenschein coroniert hinter den Wolkenkratzern von Newark. Oldtimer mit glänzendem Chrom, funkeln im Sonnenlicht. Farbenfroher waren die 1940er noch nie. Kostümierung und Gestaltung der Innenarchitektur sind preisverdächtig, genauso die Leistungen der Schauspieler. Die Zeitreise ist perfekt.
Die politischen Rahmenbedingungen 1940 sind aber alles andere als farbig und sonnig, denn es tobt der Zweite Weltkrieg. Das erfahren wir vom Mitlesen auf der Titelseite des „Newark Star Ledger“ vom 26. Juni 1940 bei Alvin Levin. Diese Zeitung gibt es sogar heute noch. Die Headline des Ledgers gibt Preis, dass Roosevelt und die Demokraten Groß Britannien im Kampf gegen Deutschland unterstützen wollen. Außerdem berät man innerhalb der demokratischen Partei über den Kriegseintritt der USA. Ist die Positionssuche der Demokraten noch im Gange, liefert der demokratische Präsident Franklin D. Roosevelt Kriegsschiffe an die Briten. Dadurch steigt das Risiko, dass die USA zu einer Kriegspartei werden.
Ein weiter Artikel unter der Headline berichtet von einem Prominenten Bürger, der gegen den Kriegseintritt der USA wirbt. Ebenfalls finden wir zwei kleinere Meldungen darüber, dass der Widerstand Frankreichs gebrochen wurde. Paris wurde besetzt und die französische Regierung ist ins Exil geflohen. In Anbetracht der Wichtigkeit der Niederlage Frankreichs erscheint die Debatte um den Kriegseintritt der USA innerhalb der Demokraten eher nebensächlich.
Dass es zu diesem Kriegseintritt der USA kommen würde, ist lange Zeit überhaupt nicht klar. 1940 herrschte in den USA eine politische Stimmung vor, bei welcher man zuerst an die Wiederherstellung der amerikanischen Wirtschaftskraft dachte. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren noch nicht bewältigt. Nur das Thema der Bewältigung der Wirtschaftskrise beherrschte den Wahlkampf zwischen dem amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt und seinem republikanischen Herausforderer Willkie. In Bezug auf Nazi-Deutschland und den Angriffskrieg Hitlers waren Roosevelt und Willkie gleicher Auffassung. Sie erklärten sich mit Groß Britannien und Frankreich solidarisch. Aber einen Kriegseintritt der USA lehnten beide ab, genauso wie eine große Mehrheit der US-Bürger.
Da wir Betrachter von heute die Geschichte des Zweiten Weltkriegs bereits hinter uns haben, wissen wir mehr. Aus der realen Geschichte wissen wir, dass die USA nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 07. Dezember 1941 in den Krieg eingetreten sind. Allerdings zeigt die Miniserie „The Plot against America“, wie komplex und volatil die politischen Verhältnisse in den USA zu dieser Zeit waren. Dies nachzuvollziehen gelingt anhand der ausgezeichneten Inszenierung in Miniserienform. Der Zuschauer hat des weiteren, durch die Begleitung Herman Levins zu seinen regelmäßigen Besuchen im Kino für die Ansicht zahlreicher Wochenschauen Anteil daran, was die Menschen in dieser Zeit bewegt.
Hier sehen wir Vater Levin mit seinen Söhnen Philip und Sandy bei einer Wochenschau, die dem kleinen Philip noch Albträume bescheren wird. Auch mit 9 Jahren versteht er, dass die Deutschen nicht etwa feindliche Soldaten angreifen. Sie terrorisieren die Zivilbevölkerung der Stadt Coventry in England mit nächtlichen Bombardements. Ganz normale Familien wie seine sind davon betroffen. Insgesamt verloren bei Luftangriffen auf London, Coventry und weiteren britischen Städte zwischen 1940/41 etwa 43.000 Zivilpersonen ihr Leben. Allein in London wurden bei 57 Nachtangriffen zwischen dem 9. September 1940 und dem Neujahrstag 1941 um die 14.000 Menschen getötet.
Trotz der vielen Toten konnte der Widerstand der Briten nicht gebrochen werden, weshalb es zu einem Patt kam.
Die Regierung Roosevelt hatte also keinen Druck in den Krieg einzutreten, da Hitlers Vormarsch im Westen gestoppt wurde. An dieser Stelle handelt es sich also noch um eine Wochenschau aus der realen Geschichtsschreibung.
Doch in der fiktiven Realität der Serie droht Hitler im Herbst 1940 in Groß Britannien einzumarschieren.
Wahlkampf unter anderen Vorzeichen
Ausgerechnet jetzt läuft der Wahlkampf auf Hochtouren und die Demokraten, mit ihrem Kandidaten Franklin D. Roosevelt, vertreten die Position eines möglichen Kriegseintritts.
Das ruft einen Mann namens Charles Lindbergh auf den Plan, der für die Republikaner als Präsidentschaftskandidat ins Rennen geht. Er ist ein charismatischer Fliegerheld, der nicht nur im Jahre 1925 als erster den Atlantik mit einem Flugzeug überflog. Er bekam dafür die Medal of Honor verliehen und wurde zum Offizier ernannt. Charles Lindbergh gilt als echter amerikanischer Held. Er wurde Man of the Year 1927 im Time-Magazin.
Warum Autor Philip Roth gerade ihn auswählte, damit er fiktiver Präsident der USA würde, hat seine Ursache darin, dass Lindbergh politisch für die Bewegung „America First“-Komitee (AFC) auftrat und damals bereits von einigen Republikanern unterstützt wurde.
In der realen Zeitgeschichte wollten, nach aktuellen Umfragen im August 1939, nur 9 % der Amerikaner Lindbergh als Kandidaten, dessen Name als potenzielle Alternative zu Roosevelt gehandelt wurde. Allerdings sagten 72 % der Befragten, dass er kein schlechter Präsident sein würde. So kam er nicht zum Zug. Aber auch Willkie, der den Vorzug bekam, galt nur als schwacher Kandidat der Republikaner. Schließlich wurde Roosevelt wiedergewählt.
Da in der alternativen Realität die deutsche Invasion Groß Britanniens schon während der Kür der Präsidentschaftskandidaten kurz bevorsteht, wird die Frage nach dem Kriegseintritt zum Hauptwahlkampfthema. Somit kommt Lindbergh ein kleiner zeitlicher Vorteil von ein paar Wochen zupass, den er in der historischen Wirklichkeit nicht besaß.
Lindbergh und der AFC lehnten jegliche Einmischung der USA in Kriege außerhalb der USA ab und damit den Kriegseintritt im Zweiten Weltkrieg. Man spricht hier von einer isolationistischen Haltung, im Gegensatz zu interventionistischen Haltung Roosevelts. Trotz des Kriegsbeginns in Europa wollte eine überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bürger dem Krieg fernbleiben. Das AFC war in den 15 Monaten seines Bestehens Ausdruck dieser weitverbreiteten Anti-Kriegsgefühle. Unterstützer der AFC waren einige republikanische Senatoren und Abgeordnete und Unternehmer wie Walt Disney und Henry Ford. Gleichwohl konnte er auf eine massive Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung zählen.
Hätte man die Frage im Wahlkampf diskutiert, wäre Lindberghs Programmatik von der Nicht-Einmischung wohl auf fruchtbaren Boden gefallen. So sind Lindberghs Reden in der Serie bedeutende Reden, die er tatsächlich gehalten hat. Er hat sie aber eben nicht als Präsidentschaftskandidat, sondern als Sprecher des „America First“-Komitee gehalten. Damit war er nur wenige Wochen zu spät dran, so war die Kür des republikanischen Präsidentschaftskandidaten schon passé.
Es stellt sich also die Frage, ob die Republikaner ihn tatsächlich zum Kandidaten gekürt hätten, wäre die Frage des Kriegseintritts ein paar Monate früher wichtig geworden, wie in „The Plot against America“ dargestellt?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Republikaner ihn zum Kandidaten gekürt hätten. Entscheidende Gründe dafür sind:
- Er war besonders charismatisch.
- Er galt als amerikanischer Held.
- Er konnte bereits republikanische Unterstützer hinter sich vereinigen.
- Eine gewaltige Mehrheit der US-Bürger war gegen einen Kriegseintritt.
Programmatische Parallelen Charles Lindberghs zu Donald Trump
Es ist kein Zufall, dass Trump anlässlich seiner Amtseinführung 2017 seine Vision von „America First“ verkündet hat. Die Vermutung lag nahe, dass man die Serie dem aktuellen Zeitgeschehen angepasst hat, aber „Americas First“ ließ sich auch in der Literaturvorlage von 2004 finden, also 10 Jahre bevor Präsident Trump damit warb. Es ist hier nicht nur der von der AFC übernommene Name, sondern es handelt sich um die vier Grundprinzipien der AFC, bezüglich der amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik im Jahre 1940, welche mit der politischen Haltung Trumps korrespondieren.
Philip Roth gibt Charles Lindbergh die Möglichkeit die reale Programmatik der AFC mit in seinen fiktiven Wahlkampf zu nehmen. Sie beruht den folgenden vier Grundprinzipien:
- Die USA müssen eine unüberwindliche Verteidigung aufbauen
- Keine fremde Macht oder Gruppe kann das vorbereitete Amerika erfolgreich angreifen
- Die amerikanische Demokratie kann nur erhalten werden, wenn sich das Land aus dem europäischen Krieg heraushält
- „Unterstützung zur Kriegsverkürzung“ schwächt die nationale Verteidigung und beschleunigt die Verwicklung Amerikas in auswärtige Kriege
Trumps Ankündigung seiner „America First“-Programmatik gründet wohl auf der isolationistischen Haltung des AFC. Das untermauern auch folgende Redeausschnitte Lindberghs. Sie könnten genauso von Donald Trump stammen:
„Kein Einfluss von außen könnte die Probleme der europäischen Völker lösen oder ihnen gar einen dauernden Frieden bringen. Sie (= die europäischen Völker) müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, so wie wir unseres in die Hand nehmen müssen.“
Was Lindbergh hier sagt, entspricht der Haltung Trumps gegenüber der NATO und Russland. Er und die Republikaner haben angekündigt die Gelder für die Ukraine zu streichen, während Joe Biden sich an die Seite der Ukraine stellt.
Die amerikanische Haltung zu Europa war traditionell und historisch wesentlich von der Doktrin der „Balance of Power“ bestimmt. Sie gründet auf dem Grundprinzip der britischen Außenpolitik seit dem späten Mittelalter, welches ein Mächtegleichgewicht mit den Staaten Festlandeuropas anstrebt. Sie hat sich im Laufe der Zeit, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einer nordatlantischen Doktrin entwickelt. Danach darf kein Land in Europa mehr so mächtig werden, dass es andere unterdrücken kann. Damit wollte man zum Beispiel den Revanchismus zwischen Frankreich und Deutschland beenden, welcher bis auf frühmittelalterliche Erbfolgekriege zurückgeht.
Im Vorfeld zum Ersten Weltkrieg warb US-Präsident Woodrow Wilson für eine neue „Balance of Power“. Er ist auch der Präsident, der die Idee zur Gründung eines Völkerbundes (heute UNO) hervorbrachte. Spätestens nach dem Scheitern des Versailler Vertrags musste man einsehen, dass Woodrow Wilson Recht hatte. Es würde in Europa niemals Frieden geben, wenn das Ungleichgewicht fortbestünde. Von den USA wurde diese Vorstellung seit dem Zweiten Weltkrieg auf Konfliktherde in der ganzen Welt übertragen, weshalb man auf die interventionistische Haltung setzte und sich dabei selbst als „Weltpolizei“ sah.
Trumps Erfolg hat also auch eine wichtige Ursache in den Misserfolgen der sog. „Weltpolizei USA“, nachdem man sich in Afghanistan und Irak die Finger verbrannt hat. Dem gleichen Effekt folgt Lindberghs Wahlsieg. Hier sind es die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, wo man über 300.000 US-amerikanische Soldaten als Opfer zu beklagen hatte. Ein wenig ist es verständlich, wenn der grenzenlose Optimismus der USA bezüglich einer Einmischung als globale Ordnungsmacht gebrochen ist, so dass Trumps Haltung einen starken Rückhalt in der Bevölkerung findet. Eine Kriegsmüdigkeit herrschte 2016 vor, genauso wie 1940. Trump holte damit viele US Bürger ab, genauso wie Charles Lindbergh, der in der Novelle von Philip Roth all seine Wahlkampfreden folgendermaßen pointiert:
„Ihr wählt nicht zwischen Lindbergh und Roosevelt, sondern zwischen Lindbergh und Krieg. […] Ich will unser Land nur vor einem neuen Weltkrieg bewahren.“
Belegt ist, dass Trump diese Argumentation während seines Wahlkampfes als Präsidentschaftskandidat ebenso nutzt, als hätte er das Drehbuch von „The Plot against America“ innerlich adaptiert.
Im Oktober 2016, während des Präsidentschaftswahlkampfs, twitterte Trump:
„Hillary Clintons Interventionen haben uns im Chaos hinterlassen, Verwüstung und Zerstörung im Nahen Osten und darüber hinaus – sie ist eine Kriegstreiberin.“
Folgendes Video einer Wahlkampfveranstaltung Trumps untermauert dies in Bild und Ton.
In einem Interview mit Fox News im Februar 2019 sagte Trump:
„Ich bin kein Kriegspräsident, ich bin ein Friedenspräsident. Ich werde alles tun, um den Frieden zu bewahren.“
Während einer Kundgebung im September 2019 sagte Trump über die Demokraten:
„Sie sind eine Kriegspartei. Sie werden uns in einen Krieg ziehen, und Sie wissen, was passiert, wenn Sie das tun.“
In einem Tweet im Januar 2020 sagte Trump, dass ein demokratischer Sieg bei den Wahlen dazu führen würde, dass die USA in „Krieg, Chaos und Zerstörung“ versinken würden.
Die Parallelen zwischen Trump und Lindbergh sind unübersehbar. Mit einer Antikriegshaltung hätte Lindbergh in einem Wahlkampf ebenso viele überzeugen können und wahrscheinlich wäre er damit zum Präsidenten gewählt worden. Folgendes sprach nämlich auch für ihn, wie Mutter Elizabeth Levin in der Serie hervorhebt:
„Lindbergh ist ein Held, so groß wie er nur sein kann. Die Amerikaner lieben Helden.“
Auf Wahlkampftour mit Charles Lindbergh
Auf seinen Heldenstatus setzt Lindbergh in der alternativen Realität. Während des Wahlkampfs nutzt er die Möglichkeit mit seinem eigenen Flugzeug „Spirit of Saint-Louis“, mit welchem er auch als erster Mensch den Atlantik überquert hat, von Ort zu Ort zu fliegen, um seine Wahlkampfreden zu halten. Im Gegensatz zu Roosevelts kann er damit auch kleinere Orte in den ganzen Vereinigten Staaten anfliegen und erreicht dadurch viel mehr Bürger als Roosevelt mit schwerem Gefolge.
Lindbergh wettert dagegen, dass der Krieg durch eine Einmischung nur in die Länge gezogen würde. Es würden mehr Menschen sterben, darunter auch die Jugend Amerikas. Irgendwie kennt man diese historischen Debatten doch auch aus unserem aktuellen Zeitgeschehen. „The Plot against America“ hat hier keineswegs aktuelle Bezüge zum Ukrainekrieg hergestellt, ist die Novelle aus dem Jahr 2004. Aber es ist interessant wie sich Debatten wiederholen. So sagte Charles Lindbergh, in einer seiner realen historischen Reden ferner folgendes:
„Ich glaube, dass es für uns von äußerster Wichtigkeit ist, mit Europa zusammenzuarbeiten. […] In der Vergangenheit hatten wir mit einem Europa zu tun, das von England und Frankreich dominiert wurde. In Zukunft haben wir möglicherweise mit einem Europa zu tun, das von Deutschland dominiert wird.“
Lindbergh sprach sich, laut vorangehendem Zitat, also gegen die „Balance of Power“ und für einen Hegemon in Europa aus, wenn dieser in der Lage sei Europa als Ordnungsmacht zu beherrschen. Deutschland sei jetzt Führungsnation Europas. Großbritannien und Frankreich seien es Kraft gewonnener Kriege früher gewesen. Deshalb solle man sich in Europa nicht einmischen, sondern mit jenen klarkommen, die sich durchsetzen.
Das britische Dominion, die Franzosen oder die Spanier waren nicht weniger zimperlich mit Sklaverei und Völkermord umgegangen, mussten sich die USA erst von den Kolonialmächten befreien. Trotzdem ist es schon ziemlich befremdlich zu lesen, wie ignorant Lindbergh ist, was die Gefahren der faschistischen Nazi-Diktatur betrifft. Lindbergh war, wie sein Biograf Scott Berg schreibt, überzeugt davon, dass die USA, von blindem Idealismus geleitet, nicht erkennen könnten, dass die Vernichtung Hitlers Europa der Barbarei Stalins ausliefere und dadurch möglicherweise „der westlichen Zivilisation eine tödliche Wunde geschlagen würde.“ Lindbergh wurde von den Nazis in Berlin hofiert, auch verlieh Hitler im das Großkreuz des Deutschen Adlerordens. Man könnte sagen, dass Lindbergh sich vielleicht nur in seiner Prominenz sonnen wollte. Es gibt keinen Beleg dafür, dass Lindbergh von der Judenvernichtung wusste, aber eine politische Beeinflussung ist zu erkennen.
Allgemein schätzten die Gegner der Einmischung die Gefahr durch Stalin größer ein als durch Hitler und so wussten – auch bedingt durch die Nazi-Propaganda – wenige Menschen in den USA welches Potenzial von Hitler wirklich zu erwarten war. Gegenüber der Judenvernichtung war man schon sehr ahnungslos. Die Nazis täuschten die USA, die Russen und die ganze Welt mit ihrem verzerrten Bild von Konzentrationslagern, wie dem Vorzeige-KZ Theresienstadt.
In der Auseinandersetzung mit Rabbi Lionel Bengelsdorf, will Vater Levin den Rabbi warnen, dass die Gefahr der Nazi-Diktatur darin läge, dass die USA ebenfalls zu einem Opfer der Ideologie werden könnten. Man dürfe die Bedrohung durch Hitlers Ideologie nicht unterschätzen. Bengelsdorf verteidigt Lindbergh damit, dass er ihre „Kinder nicht in den Krieg“ schicken wolle, damit seien auch ihre „jüdischen Söhne“ sicher.
In der Serie werden manche Worte des echten Lindberghs von dem jüdischen Rabbi Lionel Bengelsdorf gesprochen, welcher Rabbi und Sprecher der jüdischen Community in Newark ist. Er hat mit seiner Überzeugung gegen einen Kriegseintritt Lindberghs Vertrauen erworben. Bengelsdorf wird schließlich der Steigbügelhalter für die Wahl Lindberghs zum Präsidenten, indem er den Fokus des Wahlkampfes darauf lenkt, dass mit Lindbergh keine amerikanischen Söhne in den Krieg geschickt würden.
Auf dem Foto kann man im Hintergrund sehr gut Fahnenträger in einer Uniform erkennen, die der SA ähnlich ist. Überhaupt hat die ganze Gestaltung einen faschistischen Anstrich. Inmitten dieser Szenerie hält Rabbi Bengelsdorf die „America First“-Rede, als wäre er Goebbels im Sportpalast. Vielleicht ist die Szene etwas überzeichnet, kann man es nicht ohne weiteres glauben, dass Bengelsdorf das alles nicht auffällt. Er glaubt nicht das Lindbergh antijüdisch ist, was sich auch während des Wahlkampfs noch nicht zeigt.
Wahlsieg Lindberghs und schleichende Veränderung für die Gesellschaft
Lindbergh gewinnt die Wahl mit einem Erdrutschsieg gegen seinen Herausforderer Franklin D. Roosevelt. Nach seiner Amtsantritt zeigt sich Lindbergh aber nicht nur als isolationistischer Präsident, sondern auch als völkischer Politiker. Diese Entwicklung leitet Roth aus historischen Reden von Lindbergh her, die er als Sprecher der AFC gehalten hat.
Am 11. September 1941 hielt Lindbergh auf einer AFC-Versammlung in Des Moines, Iowa, seine berüchtigte Rede „Who are the War Agitators?“, in der er erklärte, die drei wichtigsten Gruppen, die die USA in den Krieg treiben wollten, seien „die Briten, die Juden und die Regierung Roosevelt“.
„Doch keine Person mit Ehrlichkeit und Weitsicht kann auf ihre [der Juden] kriegstreiberische Politik blicken, ohne die Gefahren zu erkennen, die solch eine Politik für uns und für sie mit sich bringt. Anstatt für den Krieg zu agitieren, sollten die jüdischen Gruppen in diesem Land in jeder möglichen Weise dagegen auftreten, weil sie die ersten sein werden, die seine Folgen zu spüren bekommen.“
„Ihre [der Juden] größte Gefahr für dieses Land liegt in ihrem großen Besitzanteil an und ihrem Einfluss auf unsere Filmindustrie, unsere Presse, unseren Rundfunk und unsere Regierung.“
Fehlt nur noch der Vorwurf, dass sie die Banken beherrschten, doch die US-Amerikaner wissen sehr wohl, dass es die Protestanten sind, die das Bankenwesen beherrschen. Wohlgemerkt sind es belegte historische Reden, die in die Fiktion Eingang halten. Nicht einmal als der neue gewählte fiktive Präsident Lindbergh den deutschen Außenminister unter Hitler Ribbentrop in die USA einlädt, stellen sich Zweifel bei Rabbi Bengelsdorf ein. Andere jüdische Familienmitglieder der Levins, Bekannte und Geschäftstreibende sehen ebenfalls keine Nachteile auf sich zukommen. Lindbergh meine das schon nicht so. Herman Levin entgegnet:
„Sie sagen, der meint schon nicht was er sagt, aber sie irren.“
Präsident Lindbergh, um welchen sich längst ein Personenkult entwickelt hat, ernennt Henry Ford zum Innenminister. Bengelsdorf wird Leiter des Office of American Absorption (OAA), des Amtes für Amerikanische Integration, im Sinne von Assimilation. Rabbi Bengelsdorf wird dafür von Herman Levin scharf kritisiert, worauf dieser entgegnet, Lindbergh wolle nur, dass die Juden sich mehr als Amerikaner integrierten. Diese faschistoide identitäre Programmatik macht sich in allen Lebensbereichen breit.
An dieser Stelle ist es wichtig die Integrationsleistung von Juden in den USA in den 1940er Jahren aufzuzeigen. Davon kann der Autor der Novell Philip Roth lebendig berichten, denn hier trägt die Novelle semibiografische Züge. Auch wenn sie ihre eigene Religion lebten, in Synagogen, den Sabbat hielten, kein Schweinfleisch aßen, waren sie doch in vielen Dingen liberal und tolerant. Jude zu sein kann auch bedeuten Atheist zu sein, weil das Judentum eine ethnische Zugehörigkeit und keine religiöse Zugehörigkeit ausdrückt. Es gibt also auch Juden, die sich an keine religiösen Vorschriften halten. Natürlich gibt es auch ein paar wenige ultrakonservative integrationsunwillige jüdische Gruppen, die das anders sehen, aber gerade die Community von Newark, welcher Rabbi Bengelsdorf vorsteht, ist sehr liberal. Genauso aber wie ultrakonservative Juden, gibt es auch christliche ultrakonservative Konfessionen und Sekten, die dem liberalen Amerika widersprechen.
Als Rabbi Bengelsdorf im Auftrag Lindberghs völkische Programme ins Leben ruft, die denen Hitlers sehr ähneln, nämlich der Kinder-Landverschickung bzw. des Jungvolkes mit der Bezeichnung „Just Folks“, richten sich diese ausschließlich gegen die jüdische Bevölkerung. Sie dienen dazu jüdische Kinder amerikanischer zu machen, weshalb man sie in den erzkonservativen christlichen Südwesten der USA schickt. Evelyn Finkel, Schwester von Mutter Levin, ist mit Rabbi Bengelsdorf leiert und teilt dessen Ansichten. Sie überzeugt ihren Neffen Sandy Levin davon an den „Just Folks“ Programmen teilzunehmen. Sandys Eltern, sind empört, dass die Regierung versucht, jüdisch-amerikanische Bürger als nicht amerikanisch genug hinzustellen, während Tante Evelyn und Rabbi Bengelsdorf in diesen Ängsten einen „Verfolgungswahn“ sehen.
Als Sandy nach der Rückkehr aus Kentucky von seiner Fahrt berichtet, erfahren wir in diesem Zusammenhang auch von der Biografie des Rabbis, der von seiner eigenen Kindheit in Kentucky erzählt. Sein Vater sei aus Deutschland nach Kentucky eingewandert und kämpfte in der Armee der Konföderierten, also jenen die die Sklaverei verteidigten. Das nötigt Vater Levin zu einem Kommentar:
„Wir Juden waren einmal Sklaven. Also diente ihr Vater dem Pharao.“
Bengelsdorf gibt sich unbeirrt. Er erzählt, dass er als Angehöriger der Konföderierten zudem Anhänger von Judah P. Benjamin sei, der in der Geschichte der amerikanischen Regierungen als Jude bis dato höchste Ämter in der Konföderierten-Regierung bekleidete. Benjamin war Justizminister, Kriegsminister und Außenminister der Konföderierten und er gilt als erster jüdischer Minister in Nordamerika überhaupt. Dass Bengelsdorf zu Benjamin aufschaut und es ihm gleichtun will, offenbart hinter der Figur von Bengelsdorf ein literarisches Muster, das an „Der Untertan“ von Heinrich Mann erinnert. Er gibt den Aufsteiger, der zu jeder unmoralischen Schandtat bereit bzw. blind für die unmoralischen Vorgänge ist, um etwas zu gelten. Bengelsdorf unterstützt Lindbergh, weil er der Großmannssucht verfallen ist.
Aus dem schleichenden Wandel wird ein offensichtlicher Wandel mit drastischen Folgen
Obwohl die antijüdischen Aktionen und der Rassismus im Alltag zunehmen, glauben viele Juden immer noch nicht, dass es problematisch würde. Ähnliches hat sich bei der Verfolgung der Juden in Nazi-Deutschland abgespielt. Die meisten bemerkten es erst, als es zu spät war. Elizabeth Levin, die in der Konfektionsabteilung des Kleidergeschäftes Hahne arbeitet, wird von zwei Kundinnen, die Lindbergh wählen, als Jüdin identifiziert und rassistisch beleidigt.
Die Assimilations-Programme sind nur der Anfang gewesen. Präsident Lindbergh ruft ein Sonderprogramm namens „Homestead Act 42“ ins Leben. Dieser bezieht sich auf den historischen „Homestead Act“ aus dem Jahr 1862, im Prinzip eine Zusprechung von Land zur Bewirtschaftung, um die Bevölkerung aus den Städten im ganzen Land zu verteilen. Dazu konnte man sich freiwillig melden. Vorgesehen bei „Homestead Act 42“ ist die Umsiedlung der Familie Levin in eine Kleinstadt in Kentucky, mit knapp 7000 Einwohnern.
Umzugskosten, neues größeres Haus, gleiches Gehalt bei stärkerer Kaufkraft klingen im ersten Moment sehr vorteilhaft. Doch zu den Nachteilen gehört, dass sie hier keinen Anschluss haben an eine jüdische Gemeinde. Eine Synagoge gibt es im Umkreis von 1000 Meilen nicht. Ihren bisherigen Beruf würden sie auch nur zum Schein ausüben können, mangels ausreichend vorhandener Kunden in diesem stark ländlich geprägten Gebiet. Außerdem werden sämtliche Verwaltungsstrukturen dort vom Ku-Klux-Klan unterwandet.
Damit der Staat das Programm legal umsetzen kann, ist es rechtlich so abgesichert, dass die Unternehmen, welche die Betroffenen beschäftigen, sie an den entsprechenden Ort versetzen sollen. Man könnte der Versetzung widersprechen, aber dann verlöre man seinen Job. Das kommt dann de facto einer Zwangsumsiedlung gleich. Begeistert vom Homestead Act sind Evelyn Finkel und Rabbi Bengelsdorf. Ihnen ist offenbar nicht klar, was da auf jüdische Familien zukommt, denn selbst sind sie eben nicht betroffen.
Als sich einzelne Juden widersetzen wollen und Anwälte beratschlagen, treten plötzlich FBI Agenten in Erscheinung. Die von J. Edgar Hoover entsendeten Agenten ähneln in ihrem Auftritt ein wenig an die Gestapo. Sie sprechen nicht nur Drohungen aus, sondern sie beäugen auch den Wahlkampf des demokratischen Herausforderers Walter Winchell für die Präsidentschaftswahl 1944. Winchell kritisiert öffentlich die Regierung Lindbergh, was landesweit medial übertragen wird. Winchells Auftreten löst antijüdische Pogrome im Süden und mittleren Westen aus, bei welchen hunderte Juden getötet werden. So schickt die FBI-Gestapo Schlägertrupps zu den Wahlkampfveranstaltungen. Bei einer Rede in Louisville, Kentucky, am 5. Oktober 1942, wird Walter Winchell schließlich aus dem Mob heraus erschossen.
Erst nach medialem Druck reist Präsident Lindbergh nach Louisville, um sich zu erklären. In seiner kurzen Rede weist er jedoch nur darauf hin, dass wieder Frieden und Ordnung einkehren solle. Dass es rassistischen Ausschreitungen und Pogrome gegen jüdische Amerikaner gekommen war, verurteilt er weder, noch spricht er es in einem Wort an. Auf der Rückreise mit seinem Flugzeug verschwindet Lindbergh spurlos.
Schon häufiger kam Lindbergh bei seinen Flügen von seiner Route ab und kehrte kurze Zeit wieder zurück. Doch dieses Mal stimmt etwas nicht. Der Deutsche Reichs-Rundfunk verbreitet die Verschwörungstheorie einer jüdisch-britischen Verschwörung, um Kontrolle über die Regierung der USA zu erlangen und Massen aufzuputschen. Die Ausschreitungen und Pogrome gegen jüdische Minderheiten, mit etlichen Lynchmorden, setzen sich fort, weshalb Familie Levin ihr Heim zur Sicherheit verlässt und aus dem Vorort in die Stadt flüchtet. Als sie in einem Hotel Zuflucht suchen, werden sie vom Hotelbesitzer aus vorgeschobenen Gründen abgewiesen.
Indes übernimmt Henry Ford als Präsident die Kontrolle über die US-Regierung. Er lässt die Präsidentschaftsgattin Anne Morrow Lindbergh aus dem Verkehr ziehen, da sie angeblich einen Nervenzusammenbruch hatte. Zugleich veranlasst Ford die Verhaftung prominenter jüdischer Bürger, darunter Rabbi Bengelsdorf. Ihm wird vorgeworfen, dass er ein „Rabbi Rasputin“ sei und die Frau des Präsidenten Lindberghs manipuliert habe. Erst dann realisieren Evelyn Finkel und Rabbi Bengelsdorf ihren Situation.
Die eskalierende Dystopie wird mit einer utopischen unmöglichen Handlung beendet, so dass ich noch Minuten lang darüber nachdenke, wie doof das doch ist. Doch das nachgeschobene tatsächliche Ende dieser schrecklichen Fiktion, ist wahrlich bitterböse. Vorausdeutende Parallelen zum letzten Wahlkampf zwischen Biden und Trump lassen sich erahnen. Roth bescheinigt der US-amerikanischen Demokratie eine düstere Zukunft.
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OLIVER | OUROBOROS – Autor
Schon seit der Grundschule habe ich meine Liebe zum Schreiben entdeckt, damals auf einer mechanischen Schreibmaschine von Triumph.
So richtig viel habe ich im Studium angefangen zu schreiben. Da mein Film- und Serienkonsum schon überhand nahm, habe ich mich entschlossen, den Schreibdrang dort hin zu lenken, damit ich auch etwas produziere. So reflektiere ich Filme und Serien häufig unter Zuhilfenahme verschiedener Geisteswissenschaften und kombiniere sie mit moralischen Fragestellungen oder psychologisch-pädagogischen Aspekten, welche ich aus meinen Beruf als Pädagoge mitbringe.
Die Vielzahl meiner kreativen Hobbys bringt mich um den Verstand, gehören dazu das Produzieren und Komponieren von Musik, Wandern, Radfahren, Fotografieren, Tanzen.
Webseite: oliversiegemund.wixsite.com
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8 Kommentare
Ich kenne weder “The Man in the High Castle” noch habe ich je von „The Plot against America“ gehört. Für mich auf jeden Fall ein spannendes Thema. Danke für den Tipp! Werde mir beide Serien vormerken und beizeiten mal ansehen.
@ouroboros
„The Man in the High Castle“ beruht ja auf ein Buch von Phillip K. Dick und ist eher auch ein Alternativweltroman. Die literarische Vorlage von Phillip Roth kenne ich nicht, aber ich habe andere Bücher von ihm gelesen wie „Der menschliche Makel“. In seinen Werken beschäftigt er sich sehr mit dem düsteren kulturellen Kern der USA und deren Auswirkungen. Insofern gehe ich mal davon aus, dass die Romanvorlage schon eher Richtung kontrafaktuale Geschichtsschreibung geht, dein Artikel legt dieses auch nahe.
Nach dem ersten Weltkrieg und der Präsidentschaft von Woodrow Wilson waren die gesamten 20er und 30er Jahre von einer Isolationistischen Politik in den USA geprägt. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 verstärkten dieses noch und das prägte auch die Bevölkerung des Landes.
Gerade unter Trump hatten die USA so etwas wie ein Comeback des Isolationismus und große Teile der Bevölkerung befürworten das. Mit dem einher gehen vermehrt faschistische Tendenzen.
Deswegen kommt mir das durchaus wie eine sehr aktuelle Serie vor, auch wenn sie in den 40er spielt.
Ich finde man merkt deinem Text auch die großartige Recherchearbeit an und die ist bei so einem Thema auch nötig. Ich finde du hast auch schön aufgezeigt, dass die USA ein weitaus komplexeres Land mit komplexerer Geschichte sind, als man allgemein glaubt.
Sobald sich die Gelegenheit bietet werde ich die Serie anschauen.
@klaathu Ach schau an, schon wieder Phillip K. Dick. Er hat sich wirklich viele Gedanken zu diesen Themen gemacht.
@gina: Er war wohl auch ein sehr gebildeter Mann. In manchen seiner Bücher sind auch Zitate aus der Oper Parsifal oder aus einem Gedicht von Heinrich Heine zu finden. Im Original auch auf deutsch, er konnte auch deutsch sprechen.
In Deutschland ist das Buch zu der Serie unter dem Titel „Das Orakel vom Berge,“ veröffentlich.
Danke @klaathu. Den Buchtitel werde ich mir dann auch noch notieren. Bei „Blade Runner“ war ich auch gerade da, wo Rick in der Oper war. Vielleicht hatte Dick allgemein ein großes Interesse an solchen Dingen. Und war zusätzlich sehr gebildet.
Philipp K. Dick litt an Schizophrenie. Auf ihn geht deshalb der Spruch zurück „Realität ist das was nicht verschwindet, wenn man aufhört daran zu glauben.“
Deshalb enthalten viele Werke von ihm ein Grenzgängertum zwischen Realität und Fiktion, daher die Idee der Matrix „du glaubst du bist in der Realität aber es ist nur eine Matrix“.
Bei „The Man in the High Castle“ hat er eine metafiktionale Erzählung kreiert, d. h. wir bekommen zwei parallele Geschichtsschreibungen serviert, wobei in beiden Welten stellen sich die Figuren die Frage stellen, ob sie in der Realität sind. Interessant ist, dass diese Metafiktion nicht durch ein Literaturmuster „Kontrafaktizität“ entstanden ist, sondern durch das „I Ging“.
Das I Ging (Buch der Wandlungen) wird von einer japanische Figur als Orakel benutzt. Das japanische „I Ging“ ist vergleichbar mit dem europäischen Tarot. Man kann damit also Umwelten, Aktionen und Figuren erschaffen zum Beispiel zum Zwecke von Strategieentwicklung, um Möglichkeiten zu entdecken oder zu eruieren und einzuschätzen. Man kann es aber auch benutzen um Geschichten zu entwickeln. Es ist schätzungsweise mehr als 4000 Jahre alt und wurde in den Herrschaftshäuser Japans gelehrt. Nach Dicks Aussage zufolge hat das I Ging ihm auch selbst beim Schreiben geholfen, die Entwicklung der Geschichte zu bestimmen.
@ouroboros
Das klingt nach einer sehr interessanten Serie und sehr tolle und genaue Analyse von dir.
In den USA wurde die Serie und das Buch sehr heiß diskutiert, in Deutschland hatte da keiner Ahnung davon. So ist das Interesse und Verständnis hierzulande Null, weil jeder „The Man in the High Castle“ erwartet hat, aber das Aha-Erlebnis im Detail versteckt ist. Man kommt nicht drum herum sich die Arbeit zu machen, sich hier Wissen zu erwerben, das einem fehlt. Es war eklige Arbeit, aber wertvoll, denn ich habe dann am Ende verstanden, warum es in den USA so wichtig war.