Film

Paris brennt

Veröffentlichungsjahr: 1990 | Genres: Dokumentation
Originaltitel: Paris Is Burning
Schauspieler: Brooke Xtravaganza, André Christian, Dorian Corey, Paris Duprée, Pepper LaBeija, Junior LaBeija, Willi Ninja, Sandy Ninja, Kim Pendavis, Freddie Pendavis, Sol Pendavis, Avis Pendavis, Octavia St. Laurent, Stevie Saint Laurent, Anji Xtravaganza, Bianca Xtravaganza, Danny Xtravaganza, David Xtravaganza, David Ian Xtravaganza, David The Father Xtravaganza, Venus Xtravaganza, Eileen Ford, Jose Guitierez, Shari Headley, Geoffrey Holder, Fran Lebowitz, Gwen Verdon, Carmen Xtravaganza

"Paris brennt" (Originaltitel: Paris Is Burning) ist ein US-amerikanischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 1990, der unter der Regie von Jennie Livingston entstand. Der Film, der 71 Minuten lang ist, beleuchtet eindrucksvoll die sogenannte Ballroom Culture im New York der 1980er Jahre – eine Subkultur, die vor allem von Schwarzen und Latino-Mitgliedern der schwulen und transgeschlechtlichen Community geprägt wurde. Die Wettbewerbe, die auf diesen Bällen stattfinden, folgen einer Art Laufsteg-Format, bei dem die Teilnehmer:innen in verschiedenen Kategorien wie Tanz, Mode oder "Realness" – also der möglichst überzeugenden Darstellung bestimmter gesellschaftlicher Rollen – gegeneinander antreten und von einer Jury bewertet werden.

Der Film bietet neben den farbenfrohen und energiegeladenen Ballnächten auch intime Einblicke in das Leben der Beteiligten, die von ihren Träumen, Kämpfen und ihrem Alltag erzählen. Zu den Porträtierten zählen unter anderem Dorian Corey, Pepper LaBeija, Venus Xtravaganza, Octavia St. Laurent und Angie Xtravaganza, die als Repräsentant:innen ihrer "Houses" auftreten – alternative queere Familienstrukturen, die Schutz und Zugehörigkeit bieten, insbesondere für jene, die von ihren biologischen Familien verstoßen wurden. Innerhalb dieser Häuser übernehmen meist erfahrenere Mitglieder die Rolle einer "Mother", die sich um ihre "Children" kümmert – sei es emotional, organisatorisch oder materiell.

"Paris brennt" dokumentiert nicht nur die Ursprünge und Ausprägungen des Voguing-Tanzes, sondern begleitet auch Schicksale wie das der transgeschlechtlichen Venus Xtravaganza, die als Sexarbeiterin arbeitete, um sich Kleidung für die Bälle leisten zu können, und noch während der Dreharbeiten 1988 ermordet wurde – ein tragisches Beispiel für die allgegenwärtige Gewalt, der trans Frauen of Color ausgesetzt sind. Die Entstehungsgeschichte des Films selbst beginnt 1985, als Jennie Livingston erstmals Voguing-Tänzer:innen im Washington Square Park beobachtete. In den folgenden Jahren tauchte sie tief in die Szene ein, fotografierte, filmte und entwickelte dabei auch ein stärkeres Bewusstsein für ihre eigene queere Identität. Die Finanzierung des Films gestaltete sich schwierig: Kommerzielle Produzent:innen zeigten wenig Interesse, homosexuelle Geldgeber wiederum oft aus rassistischen Vorbehalten ebenfalls nicht. Erst durch öffentliche Fördermittel – etwa vom National Endowment for the Arts – konnte Livingston den Film mit einem Budget von etwa 250.000 Dollar fertigstellen, wobei weitere 175.000 Dollar allein für Musikrechte aufgewendet wurden.

Der Titel "Paris brennt" verweist auf einen jährlich stattfindenden Ball der Drag Queen Paris DuPree sowie auf das Streben nach Ruhm, das sinnbildlich als "Paris zum Brennen bringen" umschrieben wird. In seiner Inszenierung nutzt der Film ethnographisch anmutende Zwischentitel, um Begriffe wie „House“, „Legendary“, „Reading“ oder „Shade“ einzuführen und anschließend mit Leben zu füllen. Auch stilistisch arbeitet der Film mit der Gegenüberstellung verschiedener Generationen innerhalb der Szene: Während Dorian Corey und Pepper LaBeija mit kritischem Blick auf die sich wandelnden Normen der Bälle zurückschauen, träumen jüngere Teilnehmerinnen wie Venus Xtravaganza und Octavia St. Laurent von einer vollständigen weiblichen Identität, gesellschaftlichem Aufstieg, Reichtum und Anerkennung. Doch diese Träume bleiben oftmals unerfüllt – was der Film auch mit der tragischen Geschichte von Venus verdeutlicht.

Der Soundtrack besteht aus Originalmusik der Bälle und umfasst verschiedene Genres, die laut Escobedo Shepherd stets um die Themen Freude, Anstrengung und Innovation kreisen. "Paris brennt" gilt als Schlüsselwerk des New Queer Cinema, einer Filmströmung der frühen 1990er Jahre. Allerdings hebt Daniel T. Contreras hervor, dass dieser Film eine ernstere, komplexere Darstellung queeren urbanen Lebens biete als viele seiner Zeitgenossen und besonders das Thema „Race“ eindringlich verhandle. So treten ausschließlich Schwarze und Latino-Protagonist:innen auf, deren Sehnsüchte nach einem Leben in weißer Wohlstandsgesellschaft oft im krassen Kontrast zu ihrem eigenen Alltag stehen. Der Film verdeutlicht dabei, wie sehr auch weiße Passant:innen in den Straßen New Yorks performative Rollen einnehmen – eine Kritik an der Konstruiertheit aller gesellschaftlichen Identitäten.

Ein wiederkehrendes Motiv ist die Mode als Ausdruck von Selbstermächtigung. Die queeren People of Color eignen sich den von der weißen Elite definierten Stil auf kreative und subversive Weise an. Contreras beschreibt dies als einen „verpassten Genuss“ des Films – die bewundernswerte Kreativität queerer Menschen of Color in den widrigsten Umständen.

Der Film wurde erstmals 1990 auf verschiedenen LGBT-Festivals in San Francisco und New York gezeigt, in einer Version, die zunächst keinen Abspann hatte. Erst zur Aufführung auf dem Sundance Film Festival 1991 entstand eine 71-minütige Fassung mit einem siebenminütigen Abspann. Der große Erfolg beim Publikum führte dazu, dass Miramax den Film nach anfänglicher Ablehnung in den Verleih nahm. "Paris brennt" entwickelte sich zu einem Überraschungserfolg mit einem Einspielergebnis von etwa 4 Millionen Dollar – außergewöhnlich für eine Low-Budget-Dokumentation. Dennoch blieben Kontroversen nicht aus: Einige Beteiligte klagten über fehlende finanzielle Beteiligung am Erfolg. Zwar hatte Livingston Verzichtserklärungen eingeholt, zahlte jedoch 1991 insgesamt 55.000 Dollar an 13 der Darsteller:innen aus. Die Filmkritik reagierte überwiegend positiv: Viele Kritiker:innen würdigten die Sichtbarmachung marginalisierter Gruppen, andere warfen dem Film vor, die Sehnsüchte nach weißer Konsumgesellschaft unreflektiert darzustellen.

Auch in der feministischen Theorie löste der Film Debatten aus. bell hooks etwa kritisierte in ihrem Essay „Is Paris Burning?“ den scheinbar ethnographischen Blick der Regisseurin, der die queere Subkultur zu einem exotischen Spektakel für ein weißes Publikum stilisiere. Judith Butler wiederum nahm den Film als Ausgangspunkt für ihr Werk Körper von Gewicht, in dem sie den performativen Charakter von Geschlecht analysiert.

Die kulturelle Wirkung von "Paris brennt" war immens. Der Film trug maßgeblich zur Popularisierung des Voguing bei – eine Tanzform, die kurz darauf durch Madonna mit ihrem Hit „Vogue“ weltweit bekannt wurde. Bereits vor Veröffentlichung hatte Livingston dem Musikproduzenten Malcolm McLaren Ausschnitte gezeigt, der daraufhin gemeinsam mit Willi Ninja die Single Deep in Vogue produzierte, die 1990 die Spitze der US-Dance-Charts erreichte. "Paris brennt" bleibt ein eindrucksvolles Dokument queeren Lebens und kreativer Selbstbehauptung in einer Welt, die ihren Protagonist:innen oft wenig Platz ließ – und zugleich ein Meilenstein der queeren Filmgeschichte.

Pressematerial © Art Matters Inc. | BBC Television | Edelman Family Fund
Trailer ©Film Forum


Regie: Jennie Livingston
Produzent: Richard Dooley, Nigel Finch, Claire Goodman, Madison D. Lacy, Jennie Livingston, Meg McLagan, Barry Swimar
Kamera: Paul Gibson
Schnitt: Jonathan Oppenheim

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